Kapitel 1

geschrieben von Darknezz

Notiz:

Der Inhalt dieses Kapitels wurde vor 10 Jahren verfasst und seither nicht verändert. Der Schreibstil könnte sich im weiteren Verlauf der Geschichte verändern.

Cheyennes Gedanken sind kursiv.

Quälende Veränderung

Leb wohl Vergangenheit,

Excidoma Magna, Östliches Bergland von

Luminastrelle

            Die grünen Blätter des Baumes wogen sanft im Wind und ihr Rascheln sang das Lied des Abends der bald über das Land hereinbrechen sollte. Am Himmel verschwand langsam die tiefschwarze Quelle des Lebens und wanderte zur anderen Seite des Planten. Sie wurde begleitet von den Chromasternen, die stets das dunkle Gebilde umgaben und nicht von dessen Seite wichen. Mit ihnen ging auch der Schein, welcher tagsüber die Welt erhellte. Zurück ließen sie nur einen nachtschwarzen Himmel und machten es den Menschen schwer etwas zu sehen. Doch schon am nächsten Morgen würden sie zurückkommen und wieder für das Leben auf dieser Seite der Welt in ihren schönsten Farben leuchten.

 

            Unter dem Baum, der auf einem kleinen Hügel gewachsen war, lag ein zierliches und mit blühender Schönheit gesegnetes Mädchen. Sie lag still da und atmete tief in ihrem Schlaf. Ihre tiefschwarzen, langen Haare spielten im Wind und die grünen Strähnchen darin begannen in der zunehmenden Dunkelheit etwas zu leuchten. Sie trug ein Kleid, das das Schwarz ihrer Haarpracht jedoch an Intensität nicht zu übertreffen vermochte, darüber ein nahezu durchsichtiges, kurzärmeliges Jäckchen in derselben Farbe. Um ihren Hals schmückte sie eine Kette aus dünnem schwarzem Metall, die bis an ihre Taille reichte und an der ein tiefschwarzer Kristall angehängt war. Der Name des Mädchens war Cheyenne. Cheyenne LeBlesse.

            Auf ihrem Schoß ruhte der Kopf eines wolfähnlichen Wesens mit langen türkisen Fühlern, die einen guten farblichen Kontrast zu dem silbernen Fell ergaben. Es hatte die schwarzen Augen offen und blickte mit ihnen das Mädchen besorgt an. Schließlich erhob es sich und gab einen winselnden Laut von sich. Mit der Schnauze berührte es Cheyennes Hände und stupste sie sanft an, bis sie die Augen öffnete. Ihre Augenfarbe war dieselbe, wie die von frischem Blut.

            Das Mädchen wachte langsam aus seinem Schlaf auf und beäugte ihren treuen vierbeinigen Gefährten aus halb geöffneten Augen. Cheyenne schien erst nicht zu wissen, wo sie sich befand, so schlaftrunken war sie. Leise kamen Worte über ihre Lippen. „Wieso weckst du mich auf, Adocaz? Ich habe gerade so schön geträumt…“. Der Feenwolf winselte schuldbewusst, ließ seinen Blick jedoch in die Ferne schweifen und starrte den Horizont an in der Hoffnung, Cheyenne würde es ihm gleichtun. So war es auch. Sie verfolgte Adocaz‘ Blickrichtung und betrachtete nun ebenfalls den Wandergang der Chromasterne. „Hast du mich nur wegen eines Nachtanbruchs geweckt? Das sehen wir doch so oft… Obwohl es einfach immer wieder schön ist. Wie die Chromasterne am Horizont verschwinden… Und wie langsam alles dunkel wird – Moment mal. Dunkel? Nacht? Oh nein, das darf doch wohl nicht wahr sein!“. Adocaz wandte sich wieder dem Mädchen zu und stellte die Ohren auf. Endlich schien es zu verstehen. Cheyenne sprang auf und suchte mit ihren Augen besorgt die Umgebung nach ihrem Pferd Falconheart ab. „Ich hab Großvater doch versprochen ihm beim Aufräumen seines Marktstandes zu helfen. Beim Verkauf sollte ich auch noch mithelfen… Adocaz, warum hast du mich nicht früher geweckt?“ Der Feenwolf winselte betroffen. Cheyenne seufzte und beugte sich zu ihrem Gefährten herab. Sie streichelte über sein Rückenfell und gab ihm somit zu verstehen, dass dies kein Vorwurf war. „Es ist schon gut, du kannst ja auch nichts dafür, wenn ich die Zeit vergesse, hm? Aber jetzt müssen wir uns wirklich beeilen, um nach Hause zu kommen. Ich hoffe Großvater ist es nicht allzu schlecht ergangen und er konnte etwas Geld verdienen. Hoffentlich hält er mir keine Moralpredigt oder ist böse auf mich…“

            Cheyenne erhob sich wieder und ging ein paar Schritte von dem Baum weg, um besser nach ihrem Pferd suchen zu können. Sie pfiff einmal kurz und Adocaz bellte laut, unmittelbar darauf. Ein kurzer Moment der Stille, aber dann ertönte gemächliches Hufgetrappel von der Rückseite des Hügels aus. Sie drehte sich um und sah wie ihr dunkelbraunes Pferd auf sie zu trottete. Es hatte in seiner kurzen Mähne drei dunkelblaue lange Strähnen, die ungefähr wie Adocaz‘ Fühler aussahen und konnte irrsinnig schnell galoppieren. Jedoch wusste man nicht genau, ob es ebenfalls Fühler oder etwas anderes waren. Fest stand nur, dass es kein normales Pferd war. Aber das wusste Cheyenne ohnehin als sie es aus einem Forschungslabor befreite. Seitdem schenkten sie sich ihr vollstes Vertrauen.

             „Da bist du ja endlich, ich habe mir schon fast Sorgen gemacht. Wir müssen uns jetzt sehr beeilen und auf schnellstem Wege nach Hause reiten. Denkst du, du schaffst das? Kriegst auch einen Apfel als Belohnung.“, flüsterte Cheyenne dem großen Vierbeiner ins Ohr und lächelte. Falconheart schnaubte kräftig und trat ungeduldig von einem Huf auf den anderen. Das soll wohl heißen, dass du bereit bist. Sie sprang mit Schwung in den Sattel und erinnerte sich dabei, wie oft sie dies hatte üben müssen, weil sie nie genug Kraft gehabt hatte, um auf das Pferd zu kommen, weil es so groß war. Sie richtete sich auf und gab Falconheart den Befehl zum Loslaufen. Der braune Hengst stellte sich kurz auf die Hinterbeine und trabte dann los. Cheyenne fühlte die unbändige Kraft des Vierbeiners in jeder seiner Bewegungen, als wäre er eine tickende Zeitbombe, die jeden Moment hochgehen würde. Doch genau das war ihr Ziel. So wären sie wie immer in Windeseile zuhause.

            Bevor sie jedoch ihr Pferd weiter antrieb, wandte sich ihr Blick nach hinten, um zu sehen wo Adocaz sich befand. In diesem Moment preschte dieser nach vorne und erschreckte das große Reittier leicht. Gut, dann kann's ja losgehen. Cheyenne gab die richtigen Hilfen und schon bei der leichtesten Berührung machte der sensible Falconheart einen Satz nach vorne und galoppierte an. Sie ließen den Hügel innerhalb weniger Sekunden vollständig hinter sich und kamen nun auf den Pfad über den sie auch hergekommen waren. Die Wälder und Felder zogen an ihnen vorbei, so schnell, dass es sich nicht real anfühlte, sondern wie in einem Traum. Aber Cheyenne kannte dieses Gefühl schon und sie wusste, dass es kein Traum war. Viel eher traumhafte Realität. Wieder wurde ihr bewusst, wie schön doch ihr Leben war. Zwar hatte sie ihre Mutter direkt nach der Geburt vor siebzehn Jahren verloren und ihren Vater nie zu Gesicht bekommen, dafür aber hatte sie ihre wunderbaren Großeltern, die sich aufopferungsvoll um sie gekümmert hatten, seitdem sie geboren war. Das einzige was sie störte, war, dass ihre kleine Familie sich schwer tat, die Steuern zu zahlen. Aufgrund dessen, dass sie in der Unterstadt, besser bekannt als Armen- oder Elendsviertel, der Hauptstadt Excidoma Magna lebten, mussten sie regelmäßig Steuern an den dort regierenden König zahlen. Obwohl er ohnehin genug Geld hatte und nicht wirklich seinem Volk den Weg wies, so wie das ein guter König machen würde. Cheyenne wünschte sich manchmal, nicht in der Hauptstadt dieser Welt, Terrenox Libertia, zu leben. Aber es war nun mal so.

            Ihre Gedenken würden jäh unterbrochen als sie in das Dorf Lasepia kamen. Sie mussten hier durch um zur Hauptstadt zu gelangen, aber auf der Straße tummelten sich sehr viele Menschen, weiter vorne hatte sich sogar eine Traube von ihnen gebildet. Ich hab ganz vergessen, dass hier heute ja auch Markttag war… Die Bewohner hier sind wohl am Zusammenräumen. Cheyenne parierte ihr Pferd zu einem flotten Trab durch und überlegte sich wie sie hier schnellstens durchkam.

            Plötzlich bellte Adocaz und erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie hielt Falconheart an und sah, dass ihr Gefährte einige Meter seitlich vor ihr stand. Er beugte ruckartig seinen Kopf nach vorne und wieder zurück. Dann drehte er sich um und sprang auf eine große Holzkiste, schubste ein breites Holzbrett herunter und bellte nochmals. Das Brett landete so, dass es eine Rampe bildete und man die Holzkiste erreichen konnte. Adocaz betrat von der Kiste aus ein Hausdach, trabte zu dessen höchsten Punkt. „Willst du etwa, dass wir über diese Dächer reiten? Du bist ein Genie! Komm schon, Falconheart, das schaffen wir doch locker!“ Cheyenne freute sich über die Intelligenz des Feenwolfs. Der Hengst jedoch legte den Kopf schief und ging nur widerwillig auf die Holzrampe zu. Adocaz wedelte mit seinem Schweif, ehe er sich umdrehte und weiter über das Dach trabte. Das ist sicher der schnellste Weg, das Dorf zu durchqueren. Vorsichtig setzte das Pferd einen Huf vor den anderen und legte die Ohren flach nach hinten. „Du bekommst zwei Äpfel wenn du das hier schaffst“, versprach ihm das Mädchen auf seinem Rücken. Das reichte ihm offenbar aus, denn augenblicklich machte es einen Satz und sie befanden sich auf der Kiste. Von da aus war es leicht auf das Dach zu kommen, da es sich fast auf gleicher Höhe wie die Holzkiste befand. Cheyenne richtete den Blick wieder nach vorne und sah, dass Adocaz gähnend auf einem Dach weit vor ihnen saß, erhob sich jedoch und lief sofort weiter, als er sah wie schnell Falconheart über die Dächer stolperte. Jedes Mal wenn er über einen Spalt von Dach zu Dach sprang, befürchtete Cheyenne, das es einbrechen würde oder einige Ziegel zu Boden fallen würden, aber nichts davon war der Fall. Allerdings waren sie ziemlich laut und die Dorfbewohner auf der Straße sahen alle zu den Dächern auf, wunderten sich aber nur, da sie nichts Genaues erkennen konnten. Der Hengst bewegte sich nun sehr schnell und zielstrebig auf das Ende der Dachreihe zu, wo der silberne Wolf gerade eine Katze von ihrem Platz vertrieben hatte. Mit einem Satz sprang er hinunter auf den Boden und war somit außer Sicht. Als die Hausreihe schließlich zu Ende war, fiel es Falconheart sehr leicht wieder auf die Straße zu kommen; Einige Holzkisten standen der Größe nach sortiert neben der Hauswand und ermöglichten einen sicheren Abstieg. Das war pures Glück... Sowie das Pferd den Boden berührte, gewann es wieder an Geschwindigkeit und bevor einer der Dorfbewohner etwas merkte, waren sie auch schon außer Sichtweite. Adocaz lief wieder voraus. Feenwölfe gehörten zu den schnellsten Tieren der Welt. Wäre er ein gewöhnlicher Wolf, so hätte er niemals mit dem besonderen Hengst mithalten können. Vor sich konnte Cheyenne nun schon die gigantisch große Hauptstadt auf ihrem Steinpodest sehen. Niemand aus ihrem Umfeld wusste, wie diese Steinsäule zustande kam, oder wie sie das Gewicht der Steinplatte und das, der auf ihr gebauten Häuser und Schlösser halten konnte, ohne in sich zusammen zu brechen. Alles, was auf der Platte war wurde Oberstadt genannt, unterteilt in Adels- und Mittelschicht. Unter der Steinplatte befand sich die Unterstadt. Sie war an die Steinsäule gebaut, die zum Boden hin breiter und mächtiger war. Dort war Cheyenne zuhause. 

             Der Weg, auf dem sie sich befanden, führte nun durch einen kleinen Wald und die Bäume versperrten die Sicht auf die in den Himmel ragende Hauptstadt. Fast alle von ihnen trugen Äpfel. Cheyenne erinnerte sich an das Versprechen ihrem Pferd gegenüber. Dies war die perfekte Gelegenheit die zwei Belohnungen aufzutreiben. Sie verringerte Falconhearts Tempo und holte aus den Satteltaschen ihren aufklappbaren Bogen heraus. Mit einem kleinen Knopfdruck sprang er auf und war nun ein voll funktionstüchtiger Bogen, der sich ungefähr um das fünf-fache vergrößert hatte und nun circa so groß wie das Mädchen selber war. Sowie sie die Waffe in die richtige Position gebracht und ihre Finger an den Spannfaden gelegt hatte, erschien ein schwarzer Pfeil. Er war umgeben von etwas, das wie schwarzes Feuer aussah, aber nicht heiß war. Sie zielte auf zwei hintereinander hängende Äpfel und versuchte so ruhig wie möglich auf dem galoppierenden Pferd zu sitzen. Als der richtige Moment gekommen war, ließ sie den gespannten Faden los und der Pfeil schoss atemberaubend schnell nach vorne. Er schnitt den ersten Apfel vom Stängel ab und gleich darauf folgte der zweite. In der Zwischenzeit hatte Cheyenne den Bogen wieder zusammengeklappt und zurück in die Satteltasche gepackt. So hatte sie beide Hände frei, um die Äpfel aufzufangen, als sie vom Baum fielen.. Perfektes Timing - hätte nicht besser sein können. Sie freute sich und packte die Belohnung für ihr Pferd ebenfalls in die Satteltasche. Sowie sie alles verstaut hatte erklang aus der Ferne ein lauter Donner, der alles erzittern ließ. Falconheart erschrak und stemmte die Beine gen Boden und kam augenblicklich zum Stillstand. Der abrupte Geschwindigkeitsverlust zwischen Galopp und Stand verursachte bei Cheyenne einen Gleichgewichtsverlust und sie fiel auf den Hals des nervösen Pferdes. Dieses stellte sich nun auf die Hinterbeine und wieherte laut und verängstigt. Wieder mit allen vieren auf dem Boden angekommen begann es zu tänzeln und kräftig zu schnauben, während sich das Mädchen wieder in den Sattel setzte. Sie flüsterte dem Hengst beruhigend zu, während sie über seinen Hals streichelte. „Hey, Falconheart, es ist alles gut, das war doch nur ein Donner, beruhige dich…“Dann hielt sie Ausschau nach Adocaz. Sie entdeckte ihn schließlich einige Meter entfernt, am Waldrand sitzend. Er starrte in die Ferne, aber noch waren die Baumkronen zu dicht, um zu erkennen wohin. Wieder erklang das Grollen des nahenden Unwetters, aber diesmal blieb das Pferd ganz ruhig. Das Mädchen auf seinem Rücken strahlte Ruhe und Vertrauen aus und schien sich wegen des Donners nicht die geringsten Sorgen zu machen. Diese Stimmung übertrug sich auf den großen Hengst und so konnte Cheyenne ihn wieder zum Weitergehen motivieren.

             Das Hufgetrappel auf dem plattgetretenen Erdboden des Waldes schien nicht von großem Interesse für den Feenwolf zu sein, denn er zuckte lediglich mit den Ohren, den Blick weiterhin starr in die Ferne gerichtet. Als er merkte, dass seine Besitzerin und ihr Pferd näher kamen stand er auf und drehte sich den Beiden zu. Er beobachtete die langen Beine des Hengstes und wie umgreifend jeder einzelne Schritt war, vor allem in dieser langsamsten Gangart.

             Cheyenne konnte nun endlich zwischen den Baumwipfeln wieder die Hauptstadt und den Himmel erkennen. Über ihrer Heimat hatten sich einige dunkelblaue Wolken gebildet, die baldigen Regen ankündigten. Blitze zuckten darin und so ließ sich auch die Quelle des Donnergrollens finden. Nicht auch noch ein Gewitter, das ist jetzt das Letzte was wir brauchen können… Sie erinnerte sich daran, dass das letzte Unwetter noch gar nicht so lange her war und es seine Spuren an dem alten verwitterten Haus, in dem sie wohnte, hinterlassen hatte. Es hatte ein gewaltiger Sturm getobt, sodass der Wind einige lockere Steinbrocken über der Unterstadt gelöst hatte. Der Großteil dieses Gesteins schlug gewaltige Löcher in die Häuserdächer und ihr Großvater hatte noch nicht die nötige Zeit aufbringen können, um das eigene Dach zu reparieren. Er hatte zu viel mit den Schäden auf dem Feld zu tun. Das Feld hatte oberste Priorität, immerhin war es die einzige Möglichkeit für ihn ein wenig Geld zu verdienen. Aber alles, was Cheyennes Großvater dort angebaut hatte, wurde durch den Sturm zerstört. Nur sehr wenig Getreide und Gemüse war noch gut genug zum Verkauf, allerdings würde auf dem Markt wesentlich bessere Ware angeboten werden und er müsse von dem eigentlichen Preis absehen und den Mindestpreis verlangen. Der Betrag, den dieser abwarf reichte bei Weitem nicht aus um das komplette Feld neu zu bestellen, geschweige denn etwas Essbares zu kaufen und schon gar nicht um die Steuern zu zahlen. Armer Großvater… Als ob er nicht schon genug Sorgen hätte… Aber er lässt sich auch von niemandem helfen und fühlt sich immer für absolut alles verantwortlich… Ich hoffe er konnte zumindest ein bisschen was von den angeschlagenen Waren verkaufen und hat zumindest so viel Geld bekommen, um neues Saatgut zu kaufen… Zudem hatte der letzte Sturm den Wind gedreht, sodass der Regen wieder einmal schräg in die Unterstadt fiel. Das war zwar gar nicht so selten, aber damals hatte jeder, der dort wohnte gehofft, dass es nicht schief regnete. Aber die Hoffnung war vergebens und so strömte das ganze Wasser aus dem Himmel durch die Löcher der Dächer in die Häuser und überflutete die komplette Gegend. Die Aufräumarbeiten dauerten danach ganze zwei Tage und immer noch werden viele Dinge vermisst. Cheyennes Großmutter war ein Kochtopf abhandengekommen, er wurde vermutlich so weit fortgespült, dass er im Fluss gelandet ist und mittlerweile sicher irgendwo im Meer versunken war.

            Hoffentlich regnet es heute nicht wieder in die Unterstadt, nicht so lange unser aller Dächer nicht wieder dicht sind… Darin sah Cheyenne noch einen Grund um so schnell wie möglich nach Hause zu kommen. Als könnte Adocaz ihre Gedanken lesen stürmte er voran, als sie Falconheart wieder loslaufen ließ. Bald hatte dieser wieder volle Geschwindigkeit erreicht und die drei preschten weiter auf die Hauptstadt zu. Der Weg war nun sehr eben und führte zu einer bepflasterten Straße, die zu einem bewachten Sicherheitstor führte. Jeder der in die Stadt wollte, musste sich hier anmelden, seinen Ausweis zeigen und nicht einmal dann war es garantiert, dass man eingelassen wurde. Bewacht wurde das Tor von zwei Soldaten der Ritterschaft, die nicht die nötigen Voraussetzungen hatten um ein vollwertiger Ritter im Dienste des Königs werden. Für Cheyenne war dies ein Glück und ein großer Vorteil. Da sie in der verachteten Unterschicht der bedeutendsten Stadt Terrenox Libertias lebte, hatte sie keinen Ausweis und musste die Soldaten ständig überlisten, um durch das Tor zu gelangen. Das war nicht immer ein Kinderspiel, aber es gab bei Weitem viel schwierigere Dinge zu meistern. Aber das Sicherheitstor war nun einmal die einzige Möglichkeit in die Stadt zu kommen, außer man konnte fliegen oder wie ein Maulwurf einen Tunnel graben. Denn die Hauptstadt war umgeben von einem fünf Meter hohen Hochspannungsgitter, welches bei Berührung den sicheren Tod durch Elektrizität auslöste. Viele haben hieran ihr Leben verloren. Wieder einmal wurde Cheyenne bewusst, wie grausam der König war, indem er zu solchen Mitteln griff, nur um denen, die nicht zur Adelsschicht gehörten und deswegen keinen Ausweis besaßen, übel mitzuspielen. Er machte kein Geheimnis daraus, wie sehr er diese, um es mit seinen eigenen Worten zu sagen, ‚wertlosen erbärmlichen Ratten‘ verabscheute. War es nicht seit jeher die Aufgabe eines Königs gewesen, sein Volk zu lieben, wertzuschätzen und zu helfen, wo er nur kann, um es in eine sichere und gute Zukunft zu führen? Dieser König ist seines Amtes unwürdig… Ein kompletter Idiot, ich hoffe wirklich, dass ihm bald jemand seinen Thron streitig macht und vor allem, dass dieser Jemand dann auch wirklich König wird. Und zwar ein besserer.

            Cheyenne kam dem Tor nun immer näher, aber noch hatte keiner der Soldaten sie entdeckt. Sie verlangsamte wieder ihr Pferd und rief den Feenwolf, der sogar die leisesten Geräusche hörte, zurück an ihre Seite. Er trottete nun neben dem langsam galoppierenden Falconheart her. Das Mädchen griff in die Satteltasche und holte wieder ihren Bogen hervor, klappte ihn auf, brachte ihn wieder in Position und visierte eine Stelle im Gras, etwas entfernt des Tores, an. Der schwarze Pfeil erschien wieder und wurde sogleich auf das Ziel gefeuert. Das Geräusch, welches er beim Auftreffen erzeugte und der schwarze feuerähnliche Nebel erregten die Aufmerksamkeit der Torwächter und beide begaben sich ohne Nachzudenken auf das Unbekannte zu. „Was zur Hölle ist denn das?“ „Hm, ich weiß nicht. Lass uns mal nachsehen gehen.“ „Hey, du hast Recht. Was für eine tolle Idee, die du da wieder hast! Ich möchte auch einmal so klug sein wie du. Aber sollte nicht einer von uns hierbleiben, beim Tor? Es könnte ja durchaus eine Falle sein…“ „Hm, ich weiß nicht. Lass uns doch beide gehen. Du musst noch viel lernen, wenn du glaubst, dass das hier eine Falle ist. Hmpf, Anfänger.“ „Ja, natürlich, wie konnte ich nur an eurer Erfahrung zweifeln… Verzeiht.“

            Cheyenne nutzte diese Gelegenheit und in Windeseile waren die drei Gefährten durch das Tor hindurch. Einer der beiden Soldaten hatte sie zwar bemerkt, aber bei dem was sie gerade mitbekommen hatte, waren diese beiden nicht die klügsten Köpfe und sie machte sich keine Sorgen, dass sie sie verfolgen würden. „Hey, schau mal, da ist gerade jemand durchs Tor geritten! Ich dachte es wär keine Falle gewesen! So viel zum Thema Erfahrung, hm?“ „Hm, ich weiß nicht. Was hast du denn? Da war doch nichts, das bildest du dir ein. Ist dir in deiner Rüstung zu heiß geworden? Anfänger. Lern erst mal richtig mit deiner Arbeit umzugehen, bevor du deinem Lehrmeister solche respektlosen Dinge unterstellst, Vollidiot.“ „V-v-verzeiht, Meister… Ihr habt ja so Recht, wie konnte ich nur an euch zweifeln… Es war vermutlich nichts weiter als Einbildung…“

            Hihihi. Cheyenne konnte nicht anders, als zu lachen, noch nie hatte sie solch unfähige Torwächter gesehen. Und ihr Gerede war wirklich belustigend.

            Sie hatten es durch das Tor geschafft und mussten nur noch die Brücke überqueren und sie wären in der Unterstadt. Über ihren Köpfen sah man wenig von der schwarzen Nacht und auch nicht, wie viele Chromasterne noch am Himmel leuchteten. Es war noch nicht stockdunkel, also wären vermutlich noch ein paar am Horizont. Die Blitze waren der Beweis, dass ihre Vermutung der Wahrheit entsprach, denn sie erhellten die hereinbrechende Nacht mit ihren grellen Farben. Das hieß, dass sie noch von Chromaschein angestrahlt wurden. Sind keine Chromasterne mehr am Himmel, so sind die Blitze stets pechschwarz und kaum zu sehen, man hört dann nur den Donner und Cheyenne könnte schwören, dass sie trotz der nächtlichen Schwärze die Blitze ausmachen konnte, sie kamen ihr einfach noch dunkler vor als das Schwarz der Nacht.

            Das Donnergrollen ließ die Erde beben und Falconheart riss den Kopf in die Luft, das war es aber auch schon. Seine Hufe klapperten auf der großen Holzbrücke und der Fluss plätscherte wild und gleichzeitig beruhigend. Auf der anderen Seite der Brücke blickte Cheyenne gen Himmel, aber die Steinplatte versperrte ihr die Sicht auf die Wolken. Ein starker Wind kam auf und das Gras rings um sie herum sang ein Hoffnung entkräftendes Lied. Der Wind wird den Regen wieder zu uns bringen, ganz sicher… So ein Mist.

            Cheyenne ritt nun an den ersten Häusern und Feldern der Unterstadt vorbei und kam auf den Hauptpfad. Er war nicht sehr breit, aber dafür sehr steil und holprig. In den Häusern brannten Chromakerzen, und die Chromalampen auf dem Weg erleuchteten auch teilweise die Finsternis. Allerdings waren einige von ihnen verglüht. Und die Unterstadt konnte sich keine neuen leisten. Die Chromalampen in den Straßenlaternen leuchteten durch Fragmente von Chromasternen, die von Zeit zu Zeit vom Himmel fielen. Das war aber so selten, dass Forscher es geschafft haben, künstliche Chromafragmente herzustellen. Im Gegensatz zu den echten, verglühen diese jedoch nach einigen Jahren und mussten hin und wieder gegen neue ersetzt werden. In letzter Zeit war ihr Verkaufspreis jedoch beträchtlich gestiegen und niemand in der Unterstadt wusste warum. Künstliche Chromafragmente waren seit es sie gab günstig am Markt gewesen, weil sie von großer Notwendigkeit waren. Viele Menschen konnten nachts nicht so gut sehen, vor allem nicht, wenn sie in der Stadt lebten, wo der Einfluss von leuchtenden Gegenständen ihre Augen prägte. Cheyenne fand es allerdings gar nicht so schwer im Dunkeln gut zu sehen. Sie sah sogar in der schwärzesten Nacht noch sehr weit. Ihre Großeltern sagten immer es sei ein Wunder, denn sie selber konnten in der Dunkelheit nicht einmal ihre eigene Hand vor Augen sehen, geschweige irgendeine Farbe ihrer Umgebung. Farben sah Cheyenne zwar auch nicht, logisch, da nachts ja kein Chromaschein vorhanden war, aber sie sah genaue Umrisse und verschiedene Helligkeitsstufen des Schwarz in der Finsternis der Nacht.

            Endlich war sie an der Gasse angekommen, die zu ihrem Hof führte. Falconheart sprang über die Stufe, die vermittelte, dass von dort an ebener Grund war und kein steiler, steiniger Pfad mehr. Cheyennes Großeltern teilten sie diese Ebene mit ihrer Nachbarin Rosi. Eine alte verwitwete Dame mit einem guten Herz. Seit ihr Mann von den Rittern getötet wurde lebte sie allein in diesem großen Haus und pflegte seither eine gute Freundschaft mit Cheyennes Großmutter. Wenn diese beiden zusammen waren konnte die alte Rosi sogar wieder lachen und war wieder fröhlicher geworden. Aber nun saß sie an ihrem Fenster im ersten Stock ihres Hauses und starrte mit leerem Blick auf das Mädchen, das mit ihrem Pferd soeben in den Hof ritt. Was ist denn mit der los? So traurig hab ich sie schon lange nicht mehr gesehen… Und um diese Uhrzeit ist sie doch normal bei meiner Großmutter. Das ist ja seltsam… Sie sprang aus dem Sattel und band die Zügel ihres Pferdes beunruhigt an den Pfosten vor der Scheune an. Einmal noch schaute sie hoch zu Rosi. Ihr starrer Blick löste sich und sie drehte langsam den Kopf, bis sie Cheyenne direkt in die Augen sah. Sie hatte definitiv geweint und war sehr verzweifelt. Aber warum? Die alte Dame erhob sich stolz und schloss ihren Vorhang. Das gibt’s doch nicht, was soll das denn? Als hätte sie ein Gespenst gesehen… Aus welchem Grund wohl hat sie mich so angestarrt… Und warum nur hat sie jetzt aus heiterem Himmel den Vorhang direkt vor mir verschlossen? Dieses komische Verhalten kenn ich von ihr gar nicht…

            Das Mädchen bekam ein sehr ungutes Gefühl und spürte, wie ihr Herzschlag schneller wurde. Sie hatte plötzlich das dringende Bedürfnis ihre Großeltern zu sehen und zu umarmen, sie in Sicherheit zu wissen. Cheyenne ließ den Hengst im Hof stehen, obwohl sie ihn erst hätte in die Scheune stellen müssen, um ihn vor dem baldigen Regen zu schützen. Aber daran dachte sie momentan nicht. Sie lief zur Haustür und ein eisiger Schauer lief ihr den Rücken herunter, als sie sah, dass die Tür nicht geschlossen war, sondern einen Spalt weit offen. Wie angewurzelt blieb sie stehen und bemerkte am Türgriff einige rote Stellen. Das Mädchen bekam Gänsehaut und stellte fest, dass es Blut war. „W-was …“. Cheyenne brachte keinen vernünftigen Satz mehr zu Stande, sie atmete schnell und fing an zu zittern. Ihr Herz fühlte sich schwer an und schien jeden Moment zu zerspringen. Sie musste wissen was hier los war und hatte gleichzeitig Angst davor. Sie wollte das Haus betreten und konnte es einfach nicht. Eine böse Vorahnung lag in der Luft. Adocaz trat an ihre Seite und stupste sanft, aber bestimmend, ihre Hand an. Das Mädchen schluckte und schob ihre Angst beiseite. Das war sicher nur Einbildung und es gäbe eine logische Erklärung für all das. Ihre Großmutter würde ihr gleich alles erklären und ihr einen heißen Kakao zubereiten, um sie zu beruhigen.

            Alles ist gut… Es gibt doch keinen Grund zur Panik, das bilde ich mir alles nur ein, vielleicht ist das gar kein Blut… sondern… *seufz* Cheyenne atmete tief ein und wagte sich ein paar Schritte näher an die Tür. Mit einem gewaltigem Quietschen zerriss die Tür die Stille und gab das Innere des Hauses preis.

            Cheyennes Augen weiteten sich, als sie das viele Blut auf dem Boden sah. Schwer und laut atmend stand sie da. „Großmutter? Großvater?“ Sie rief nach ihnen, aber brachte keinen Ton heraus. Ihr Atem wurde schneller und unregelmäßiger, sie vergaß alles um sie herum und wusste nicht mehr, was sie machen sollte. „Wo seid ihr?“ Ihre Stimme war gebrochen und klang verzweifelt. Es kam keine Antwort. Sie fühlte nichts mehr, weder die Kälte der Nacht noch wie erschöpft sie eigentlich war. „Großmutter! Groß-vater! … W-w- … wo… seid ihr… Großmutter!“ Ihre Schreie klangen schrill und hysterisch. Sie verlor das Gleichgewicht und kippte gegen die Tür. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, die über ihre Wangen kullerten, als sie die Augen schloss. Sie wusste nicht mehr weiter. Schluchzend stand sie an die Eingangstür gelehnt und fragte sich immer wieder dasselbe: Was soll ich jetzt tun? Sie hatte sich noch nie so leer und aufgewühlt gefühlt. Sie war verstört und ihr Herz schmerzte so sehr, dass sie am liebsten Schreien würde. Ihre Beine wollten ihr Gewicht nicht mehr tragen und schienen jeden Moment einzuknicken.

            Im Haus war es dunkel. Stockdunkel. Adocaz saß neben Cheyenne, er schien sie beschützen zu wollen. Von Zeit zu Zeit berührte er sie sanft mit der Nase und wollte sie trösten. Doch das Mädchen saß weinend und starr vor Seelenschmerz an der Eingangstür. Draußen begann es zu regnen. Falconheart wieherte, als das kalte Wasser auf seinen Rücken traf. Der Feenwolf fing an zu zittern. Ebenso wie Cheyenne. Aber sie zitterte nicht, weil es kalt geworden war. Sie stand kurz vor einem Zusammenbruch, würde dies aber nie zugeben. Langsam bekam sie ihre Gedanken wieder unter Kontrolle und stellte alle möglichen Überlegungen an. Was ist hier passiert? Ein Raub? Einruch? Wo sind sie? Warum? Wenn ich nur früher da gewesen wäre… Wenn sie tot sind, wo sind dann ihre Leichen? Sind sie überhaupt tot? Dann… Wer hat sie getötet oder mitgenommen? Vielleicht… gibt es eine andere Erklärung für das Blut? … Werde ich es je herausfinden? Was mach ich denn jetzt? Ich… Ich muss sie finden… Ich muss einfach wissen was passiert ist. Vielleicht muss ich sie retten! Womöglich hat ja jemand was gesehen, aber wer … M-moment. Vielleicht hat Rosi etwas mitbekommen? War sie deswegen so seltsam? Ich sollte sie fragen! Cheyenne erhob sich langsam und wäre dabei fast wieder hingefallen. Sie war so kraftlos, wie schon lange nicht mehr. Sie bemühte sich, stehen zu bleiben und ihr Gleichgewicht wiederzufinden. Schließlich schaffte sie es, wieder zu stehen ohne sich irgendwo anzulehnen. Plötzlich erklang helles Hufgetrappel im Hof. „Das ist nicht Falconheart, sondern ein leichteres Pferd… Aber we…!“ Sie drehte sich um und hoffte, dass sie mit ihrer Vermutung Recht behielt. Das Mädchen ging in den Hof. Der Wind war stärker geworden und die eiskalten Regentropfen peitschten in ihr Gesicht, sodass es beinahe schon schmerzte. Vor ihr stand ein Pferd, nicht so groß wie Falconheart und deutlich zierlicher und nervöser. An der Mähne und an dem Fell des Pferdes erkannte Cheyenne, dass es die Stute ihres besten Freundes Xaver war. Nun erkannte sie ihn deutlich. Er stieg vom Pferd und kam auf sie zu.

            „Cheyenne? Geht es dir gut?“ Mehr, als diese ersten Worte konnte er auch nicht mehr sagen, denn ehe er sich versah lief Cheyenne in seine Arme und fing an, verzweifelt zu weinen. „Xaver…“ Sie konnte nur mehr flüstern. Der Freund sagte nichts mehr und umarmte sie einfach nur. Er wusste immer genau, wie er mit Cheyenne umgehen muss, sodass sie sich besser fühlte. Sein blondes kurzes Haar war pitschnass, ebenso seine Kleidung. Aber das störte Cheyenne im Moment nicht, sie selber war jetzt auch komplett vom Regen durchnässt. Aber es war ihr egal, sie hatte andere Probleme. Sie war so froh, dass er hier war, dass er gekommen war. Woher wusste er, dass sie ihn brauchte? Vielleicht hat er auch etwas gesehen... Xaver war achtzehn Jahre und schon seit sie denken kann, waren sie befreundet. Die Beiden hatten immer alles gemeinsam gemacht und ihre Freundschaft war unzerstörbar. Sie konnten sich ohne Zweifel vertrauen und sich aufeinander verlassen. Für Cheyenne war er wie ein großer Bruder.

            Sie sammelte sich und erzählte was passiert war, wie sie verschlafen hatte und sich beeilt hatte, nach Hause zu kommen und wie sie alles vorgefunden hatte. „…und jetzt weiß ich nicht wo sie sind. Oder ob sie überhaupt noch leben…“. Sie sah in den grünen Augen ihres Kindheitsfreundes, dass er sich nun ebenfalls Sorgen machte. „Das Beste ist es vielleicht wirklich, wenn wir Rosi fragen. Komm, das machen wir jetzt, dann haben wir Gewissheit. Cheyenne, bevor wir nicht sicher wissen, was hier los ist, sollten wir darauf hoffen, dass alles nur ein Missverständnis ist und die zwei in Ordnung sind“. Cheyenne bewunderte die Ruhe ihres Freundes. Er blieb meistens ruhig, gerade in Situationen wie diesen und wusste einfach immer was zu tun war. Sie hatte unglaubliches Glück, dass er hier war.

            Xaver sah sie lange an. Als wollte er etwas sagen, aber er tat es nicht. Adocaz winselte und zog die Aufmerksamkeit von Beiden auf sich. Er stand vor Rosis Haustür und kratzte daran. Einige Regentropfen perlten von dem nassen Fell und er musste ständig blinzeln, da Wassertropfen in seine Augen strömten. Seine Fühler hingen hinab und deren Enden lagen auf dem Steinboden.

            Cheyenne und Xaver gingen nun ebenfalls zur Tür, doch bevor sie klopfen konnten, öffnete Rosi auch schon. „Ich habe den Hund an der Tür kratzen gehört…“ Die alte Dame verwechselte den Feenwolf seit sie ihn kannte mit einem Hund. Auch wenn Cheyenne ihr immer wieder erklärte, dass dem nicht so war. „Seid ihr hier wegen …“, sie brach ab und schluckte. Ihre Stimme klang alt und verkümmert, rauchig, schrill und verzweifelt und zitterte. Die Witwe sammelte sich und begann zu erzählen was passiert war, ohne dass Cheyenne oder Xaver sie dazu aufgefordert haben. „Deine Großeltern… sind weg. Die… Ritter…“, wieder schluckte sie, „die Ritter waren heute Nachmittag hier und haben Steuern eingetrieben. Da deine Großeltern heute auf dem Markt kein gutes Geschäft machen konnten, war aber kein Geld da. Diese vermaledeiten Tunichtgute haben euer gesamtes Haus auf den Kopf gestellt, aber auch da nichts gefunden, was in ihren Augen wertvoll wäre. Dann… haben sie sie mitgenommen. Sie haben gesagt, sie würden jetzt ihre Schulden auf der Menschenfarm begleichen. Sie haben… deine Großeltern mitgenommen… Cheyenne, es tut mir so schrecklich leid, ich konnte nichts tun… Aber als die Ritter einen kurzen Moment lang bei der Hausdurchsuchung unaufmerksam waren, hat mir deine Großmutter das hier gegeben. Sie hat gesagt, falls ihr etwas zustößt, soll ich dir diese Schriftrolle geben und du musst versprechen gut darauf Acht zu geben.“ Damit beendete sie ihren Bericht und überreichte Cheyenne eine kleine vergilbte Schriftrolle. Ohne sie zu öffnen, bedankte sie sich und verabschiedete sich. Sie drehte sich um und lief auf ihr Pferd zu. Xaver bedankte und verabschiedete sich ebenfalls und eilte seiner Freundin nach. „Warte, was hast du vor?“ Cheyenne saß bereits auf dem durchnässten Hengst. „Also wenn sie auf der Menschenfarm sind, dann leben sie vielleicht noch. Solange die Hoffnung besteht, dass sie noch leben, werd ich sie nicht aufgeben. Ich kann sie womöglich retten. Es war immerhin meine Schuld, dass das alles hier passiert ist. Ich war nicht rechtzeitig da und ich habe sie immer in Unkosten gestürzt. Es ist meine Schuld, dass sie verschuldet waren und nie die Steuern bezahlen konnten. Sie sollen nicht für meine Vergehen büßen müssen!“ Es donnerte und Falconheart stieg. Im Schein der Chromalampe konnte Xaver sehen, wie entschlossen sie war und dass niemand sie von ihrem Plan abbringen könnte. Er wollte auch immer so mutig sein, wie seine Freundin. „Es ist nicht deine Schuld, dass du kein Geld verdienen kannst, es ist auch nicht deine Schuld, dass sie für dich aufkommen mussten, und an der schlechten Ernte hast du auch keine Schuld! Sei doch bitte ein einziges Mal vernünftig und bleib hier! Das ist reiner Selbstmord!“ Aber Cheyenne hörte nicht auf seine Worte und noch während er versuchte sie aufzuhalten jagte sie Falconheart vom Hof und die Gasse hinab. Adocaz dicht dahinter.

„Manchmal ist sie so unvernünftig… Mitten in der Nacht, ohne Vorbereitung dem sicheren Tod entgegenreiten, nur um jemandem zu helfen… Typisch Cheyenne… Aber alleine lass ich dich nicht gehen, sonst hast du gar keine Chance. Irgendjemand muss ja vernünftig sein. Ach, warum ist alles immer so kompliziert. Komm, Shiva, schnell hinterher!“ Xaver setzte sich ebenfalls auf sein Pferd und Cheyenne hinterher.

            Rosi blieb in der Tür stehen. „Sei vorsichtig, Cheyenne. Du bist doch so wichtig für uns alle. Sei auf der Hut. Unsere letzte Hoffnung…“

de_DEDeutsch