Kapitel 3
geschrieben von Darknezz
Notiz:
Der Inhalt dieses Kapitels wurde vor 10 Jahren verfasst und seither nicht verändert. Der Schreibstil könnte sich im weiteren Verlauf der Geschichte verändern.
Cheyennes Gedanken sind kursiv.
Jäger und Gejagte
the journey begins
Mediasilva, Östliche Wälder von Luminastrelle
Der Regen ließ nach und verfiel in ein Nieseln, ehe er komplett aufhörte, auf die Erde zu fallen. Die dunkelblauen Wolken verzogen sich und es wurde heller. Am Horizont erschienen einige erste Chromasterne, dessen blasses Leuchten langsam stärker wurde. Die Baumkronen gewährten dem Funkeln an manchen Stellen Einlass in den dichten Wald. Die Nacht war vorüber und der Morgen brach an.
Einige Vögel zwitscherten fröhlich, voller Vorfreude auf den warmen Schein der Chromasterne, nach einer kalten, verregneten Nacht. Einzig und allein ein erschöpftes Hecheln und Schnauben störte die Harmonie der Natur. Hufgetrappel auf dem nassen Waldboden verscheuchte einige Tiere, die auf Futtersuche waren.
Cheyenne hatte die ganze Nacht auf dem Rücken ihres Pferdes verbracht, auf der Flucht vor ihren Jägern. Adocaz war diese ganze Zeit über treu an ihrer Seite gewesen, auch wenn er vom vielen Laufen mittlerweile so erschöpft war, dass er kaum noch Luft bekam und bei jedem zweiten Schritt stolperte. Falconheart ging es nicht viel anders. Lange hatte es gedauert, bis sie ihre Verfolger schließlich abhängen konnten, aber nun schienen sie außer Gefahr zu sein. Zumindest fürs Erste. Das Mädchen parierte den Hengst vom Galopp in den Schritt durch. Das braune Pferd machte seinen Hals lang und schnappte nach Luft. Von Zeit zu Zeit hustete es. Der Körper des großen Vierbeiners zitterte und dessen Beine drohten jeden Moment einzuknicken. Der Feenwolf verringerte sein Tempo ebenfalls, ließ den Kopf hängen und streckte die rosa Zunge heraus. Wankend setzte er eine Pfote vor die andere, versuchte nicht zu stolpern, oder gar hinzufallen.
Cheyenne lehnte sich auf den nassen Hals ihres Reittiers und betrachtete mit leerem Blick die Wunde auf ihrer rechten Handfläche. Ihre Augen brannten von den vielen Tränen, die sie vergossen hatte und so schloss sie sie. Das Mädchen war müde. Am liebsten würde sie einschlafen und nie mehr aufwachen. Sie hatte alles verloren, was ihr wichtig war; Ihre Großmutter, ihren Großvater, sie wusste nicht einmal, ob es Xaver gut ging, oder ob er den Rittern entkommen konnte und nach der gestrigen Nacht konnte sie auch nicht mehr zurück nach Hause. Aus einem ihr unbegreiflichen Grund, schienen die Ritter sie töten zu wollen. Würde sie nun zurück in die Unterstadt gehen, wären alle Bewohner dort in Gefahr, denn die Ritter schienen vor nichts zurückzuschrecken und jeder, der ihnen im Weg stünde, hätte sein Leben vermutlich verwirkt. Das hatte Cheyenne ja bei ihren Großeltern gesehen. Die Erinnerungen der letzten Nacht kamen ihr wieder in den Sinn, sie sah vor ihrem geistigen Auge erneut ihre geliebten Großeltern direkt vor ihr, auf qualvolle Weise, sterben. Das waren die schrecklichsten Minuten in ihrem Leben gewesen. Das Mädchen erinnerte sich an die Worte des großen Ritters in goldener Rüstung.
Nun ja, zumindest bist du schön in unsere Falle getappt. Deine Großeltern haben sich auch wirklich als wunderbarer Köder erwiesen. Haha.
Cheyenne konnte das alles nicht glauben. Was war plötzlich los mit der Welt? Gestern noch war alles so schön und in Ordnung gewesen… und jetzt auf einmal passierten solche schrecklichen Dinge? Warum geschieht das alles… Warum wollen die mich töten und meinen Kristall haben? Warum mussten meine Großeltern sterben? Warum hab ich nicht erkannt, dass es eine Falle war? Hätte ich etwas anders machen können… etwas ändern können? Wenn ich nicht so … unvernünftig gewesen wäre, würden sie vielleicht noch leben… Sie machte sich große Vorwürfe und gab sich die Schuld an allem.
Irgendetwas musste sie getan haben, um die Ritter auf sich zu hetzen, aber sie wusste beim besten Willen nicht was. Hoffentlich geht es Xaver gut… Er muss ihnen einfach entkommen sein, er muss… Wenn ihnen der Kristall so wichtig ist, dann sollen sie den doch haben, aber ihn in Ruhe lassen… Es ist doch sowieso… nur eine Kette, die mir meine Mutter zu meiner Geburt geschenkt hat… Seit sie denken konnte trug sie immer diesen schwarzen Anhänger um ihren Hals. Ihre Großeltern hatten ihr erzählt, dass das Letzte was ihre Mutter getan hatte, bevor sie nach der Geburt starb, war, ihrem Baby diesen Kristall umzulegen. Seitdem, so wurde es Cheyenne erzählt, hatte sie die Kette nie abgelegt, obwohl sie das Schmuckstück am Anfang immer doppelt um ihren Hals legen musste, da es so lang war. Mit der Zeit wurde das Mädchen größer und konnte den Kristall dann ganz normal tragen. Was finden die bloß an dieser Kette? Ich… ich versteh das alles einfach nicht… Es ist doch nur ein Kristallanhänger… Die kann man doch sogar auf dem Markt ganz billig ersteigern…
Cheyenne zerbrach sich den Kopf darüber und hoffte so, sich von ihrer Trauer abzulenken. Aber es dauerte nicht lange, bis sie Kopfschmerzen bekam, ihr schwindelig wurde und die Ereignisse der letzten Nacht sie wieder einholten.
Das Leuchten der Chromasterne, das zwischen den Baumkronen durchfunkelte, wurde stärker. Langsam, aber stetig, wurde es wärmer und der morgendliche Schein hatte eine beruhigende Wirkung auf das traurige Mädchen. Ihre nassen Haare und ihr Kleid wurden langsam getrocknet, ebenso das Fell der beiden Vierbeiner, mit denen sie unterwegs war. Cheyenne richtete sich auf, um zu sehen, wo sie sich befanden. Aber sie waren mitten in den Wäldern von Luminastrelle und diese erstreckten sich bekanntlich über den Großteil des Kontinents. Sie irrten also komplett orientierungslos umher. Nie war Cheyenne zuvor hier gewesen, sie wusste nicht einmal, ob ein Dorf in der Nähe war, ob irgendetwas in der Nähe war, hatte keine Ahnung wo sie gerade war und selbst wenn sie ein Dorf oder eine Stadt finden würden, so hätte sie nicht einmal Geld, um dort etwas zu Essen und Trinken für sich und ihre beiden Gefährten zu kaufen. Noch nie war sie so weit von ihrer Heimat entfernt gewesen. Die Situation schien ausweglos und das Mädchen glaubte, sie könne nicht mehr verzweifelt sein, als ohnehin schon, aber da schien sie zu irren.
Gerade, als sie dachte, nun könnte es wirklich nicht mehr schlimmer werden, hörte sie ein Knurren. Es kam definitiv nicht von Adocaz. Falconheart legte die Ohren ganz flach zurück, riss den Kopf nach oben und blieb erschrocken stehen. Der Feenwolf an seiner Seite stellte sein Nackenfell auf, hob Schweif und Fühler und fing ebenfalls bedrohlich an zu knurren. Wie gebannt starrte er in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Dort befand sich ein raschelnder Busch. Adocaz bewegte sich langsam darauf zu, aber Cheyenne flüsterte ihm einen Unterlassungsbefehl zu. „Bleib stehen, vielleicht lässt es uns ja in Ruhe, wenn wir einfach weitergehen und so tun, als hätten wir es nicht bemerkt.“ Sowie sie die Worte aussprach, wusste sie auch, dass dies garantiert nicht der Fall sein würde.
Plötzlich schoss ein wolfähnliches Wesen aus dem Gebüsch und sprang Adocaz an. Dieser konnte knapp den Krallen der Kreatur ausweichen und beide standen sich nun gegenüber; Der Feenwolf schützend vor seiner Gefährtin und deren Pferd, sein Angreifer vor dem Busch. Cheyenne traute ihren Augen kaum, als sie das Wesen betrachtete. Aber das… das… gibt’s doch gar nicht! ! Der wolfähnliche Feind erstrahlte in komplettem Weiß und war umgeben von gleichfarbigen Nebelwaden, die aussahen, wie die bei ihren schwarzen Pfeilen. Was zur Hölle ist das? Es gibt nichts Weißes in der Natur! Außer die kleinen Stellen bei unseren Augen… Und es ist umgeben von einer schimmernden feuerähnlichen Aura… Vielleicht ein Experiment, dass aus dem Forschungslabor entkommen ist?
Cheyennes Gedanken wurden jedoch unterbrochen, als das weiße Etwas sich erneut auf Adocaz stürzte und eine wilde Rangelei anfing. Es schien unglaublich stark zu sein und setzte dem bereits erschöpften Feenwolf ziemlich zu. Dieser schaffte es unter größter Anstrengung, sich aus den Klauen seines Angreifers zu befreien und Cheyenne nutzte die Gelegenheit zur Flucht. Bevor der weiße Wolf wieder angreifen konnte, war Adocaz schon außerhalb seiner Reichweite. Die drei Gefährten wurden nun also schon zum zweiten Mal an diesem Tag gejagt und das Mädchen fragte sich, wie oft sie wohl noch weglaufen müssten.
Die Bäume flogen wieder an ihnen vorbei und Falconheart lief so schnell er konnte. Der Feenwolf war etwas hinter dem Hengst zurückgefallen, gab aber weiterhin sein Bestes um mitzuhalten. Die weiße Kreatur schien sie nicht mehr zu verfolgen, vermutlich war sie nicht schnell genug. Aber um sicherzugehen, dass sie auch wirklich sicher wären, behielt Cheyenne das Tempo noch bei. In einiger Entfernung sah sie einen umgestürzten Baumstamm liegen. Falconheart wird wohl springen müssen… Ganz schön riskant in seinem jetzigen Zustand… Aber wir müssen da hinüber… Auf die Idee, einfach außen herumzureiten, kam sie gerade nicht. Das Mädchen war zurzeit nicht in der Lage, klare Gedanken zu fassen. So ließ sie ihr Pferd direkt auf den Baumstamm zulaufen und bereitete sich auf den Sprung vor. Der Hengst schien mit ihrem Vorhaben gar nicht einverstanden zu sein, aber er vertraute seiner Besitzerin und tat, was sie von ihm verlangte. Sie kamen dem umgestürzten Baum immer näher. Erst jetzt bemerkte Cheyenne wie groß dieser Baumstamm war, aber es war zu spät, um anzuhalten.
Falconheart sprang ab. Jedoch war er viel zu erschöpft, um seine Beine weit genug anzuziehen. Mit einem dumpfen Geräusch prallte sein linker Huf gegen das Hindernis und das Pferd kam in der Luft ins Straucheln. Cheyenne fiel ruckartig nach links vorne, auf den Hals des Hengstes, schaffte es aber, sich im Sattel zu halten. Als wäre das nicht schon genug, ging es auf der anderen Seite des Baumstammes weiter nach unten, als einkalkuliert; Hinter dem Baum befand sich ein Abhang, so tief, wie Falconheart groß war und sie stürzten hinab. Das Pferd gab sein Bestes, um sein Gleichgewicht wiederzufinden und sich auf die harte Landung vorzubereiten. Aber seine Beine hielten dem Gewicht des Vierbeiners nicht mehr stand und unmittelbar nach dem unsanften Aufkommen, knickten sie ein und er fiel auf die Knie seiner Vorderbeine. Das Mädchen auf seinem Rücken rutschte auf den Pferdehals und Falconheart hob den Kopf, um einen Sturz seiner Besitzerin zu verhindern. Als Cheyenne wieder in den Sattel zurückgeklettert war, erhob sich das Reittier schnaubend und gab dann einen wiehernden Laut von sich. Es schien Schmerzen zu haben. Oh nein, das ist alles meine Schuld! Ich hätte den Baum genauer anschauen müssen! „Es tut mir so leid, Falconheart…“ Mehr brachte sie nicht heraus. Der Hengst jedoch schüttelte den Kopf, als wollte er ihr widersprechen. „Doch, natürlich. Es war meine Schuld, ich hätte auf deine Signale achten sollen, es tut mir so unglaublich leid…“ Erneut schien das Pferd ihre Aussage zu verneinen und schnaubte. In diesem Moment kam Adocaz, neben dem Baumstamm den Abhang heruntergerutscht und legte sich anschließend heftig hechelnd neben den großen Vierbeiner.
Die beiden müssen sich unbedingt ausruhen, ich verlange viel zu viel von ihnen. Ich hätte sie nicht in diese ganze Sache hineinziehen dürfen… Ich hätte sie zuhause lassen sollen… Dann würde es ihnen nicht so schlecht gehen, wie jetzt. Aber wie wäre ich dann zum Labor gekommen und geflüchtet? Und Adocaz wäre mir ohnehin gefolgt… Ich hoffe, ich kann das alles irgendwann wieder gut machen, es tut mir so unendlich leid… Cheyenne hatte ein gewaltig schlechtes Gewissen, die Schuldgefühle waren unerträglich. Alles, einfach alles, schien ihre Schuld zu sein und sie wünschte sich in diesem Moment, nie geboren worden zu sein. Aber ihren Gefährten zuliebe würde sie die Zähne zusammenbeißen. Sie musste endlich wieder klar denken können, allerdings war dies leichter gesagt als getan. Die Verzweiflung drohte sie erneut zu übermannen, als sie nach vorne schaute und einen Waldweg entdeckte, der in ein Dorf führte. Erst dachte das Mädchen, es wäre nur ein Tagtraum, oder eine Halluzination. Aber als nach mehrmaligem Blinzeln in einiger Entfernung immer noch Holzhäuser zu sehen waren, atmete Cheyenne erleichtert auf. Ein Dorf! Ich glaub es ja nicht… Also haben wir doch noch ein ganz klein wenig Glück… Sie brachte Falconheart zum Loslaufen und er humpelte auf den breiten Waldweg zu. Adocaz lief neben dem Pferd her und das Ausmaß der Rangelei mit dem weißen Wolf kam zum Vorschein. Einige blutige Wunden kläfften am Hals und am Brustkorb des Feenwolfs.
Das Mädchen wusste nicht, was sie für ihre beiden Vierbeiner machen konnte, es gab kein Geld um einen Tierarzt zu bezahlen oder selber Heilmittel zu kaufen und sie wusste auch nicht, welche Kräuter man für eine selbstgefertigte Wundsalbe bräuchte und würde die Zutaten vermutlich ebenfalls kaufen müssen. Aber sie war für ihre Schützlinge verantwortlich und diese Wunden mussten behandelt werden.
Irgendwie würde sie das schon hinbekommen, vielleicht gab es in dem Dorf Arbeit, oder sie konnte etwas tauschen. Den letzteren Gedanken verwarf sie jedoch schnell wieder. Hm, das Einzige, was ich habe, sind zwei Äpfel, meinen Bogen und mein Taschenmesser… Meinen Bogen will ich nicht hergeben und mein Taschenmesser auch nicht, die zwei Dinge brauch ich… Und wer würde schon gegen Äpfel tauschen wollen. Außerdem hab ich die doch Falconheart versprochen… Sie musste einfach abwarten und hoffen.
Endlich kamen sie am Eingang des Dorfes an. An den ersten zwei kleinen Holzhütten war ein großes gelbes Tuch eingespannt, welches die Durchreisenden begrüßte. Der braune Schriftzug verriet den Namen des Dorfes:
Willkommen in Mediasilva
Das Dorf mitten im Wald von Luminastrelle
Mediasilva? Den Namen hab ich noch nie gehört. Trotzdem war Cheyenne froh, hier zu sein. Es war ein kleines Dorf, nicht größer als Lasepia. Die Häuser sahen teilweise aus wie Bäume, alle waren sie braun und grün, gebaut aus Holz und unterschiedlich groß. Einige ragten in die Höhe, während andere lediglich ein Stockwerk besaßen. Über dem Kopf des Mädchens befanden sich hölzerne Brücken, die einige Häuser miteinander verbanden. Es sah aus, als wäre der Bereich dort oben für jedermann durch Treppen, seitlich der Häuser zugänglich. Cheyenne sah ein paar Stände und Geschäfte, wo Menschen eine Reihe bis auf die Holzbrücken bildeten.
Die sandige Straße, auf der sie sich zurzeit befanden, schien die breiteste im Dorf zu sein. Von ihr gingen einige Gassen aus, die zu weiteren Häusern führten. Hier unten waren nicht so viele Menschen zu sehen, wie überbei und weiter vorne stand eine Kutsche mit zwei eingespannten Pferden. Das ganze Dorf wirkte herzlich und einladend.
Das Mädchen entdeckte eine mit Wasser gefüllte Steinform, die den Reittieren als Tränke diente. Sie steuerte Falconheart darauf zu und sprang von seinem Rücken. Es fühlte sich ungewohnt an, wieder auf dem Boden zu stehen und nach der langen Zeit im Sattel hatte sie im ganzen Körper leichte Schmerzen. Aber sie vermutete, dass diese gleich wieder weg wären. Cheyenne band den Hengst an dem Pfosten neben dem Wasserbecken an und er fing gierig an zu trinken. Adocaz kam ebenfalls zur Tränke und schaufelte das kühle Nass mit der Zunge in sein Maul. Neben der Steinform war eine kleine Treppe die zu einem Haus dahinter führte und das Mädchen setzte sich erschöpft darauf. Kurz betrachtete sie ihre Gefährten, ehe sie den Kopf in ihre Hände stützte und einfach nur mehr dasaß.Einige Minuten war sie unfähig etwas zu tun, dann hob sie wieder ihren Kopf und musterte die Wunden des Feenwolfs, der sich mittlerweile neben sie gelegt hatte. Sie waren nicht sehr tief und sahen auf den zweiten Blick nicht mehr so verhängnisvoll aus, wie noch einige Zeit zuvor. Diese paar Kratzer würden von selber auch gut verheilen und brauchten nicht unbedingt eine Behandlung. Cheyenne wandte sich nun dem verletzten Bein ihres Pferdes zu. Der Fuß des Hengstes war angewinkelt und er zog ihn immer wieder ein wenig hoch, sobald der Huf den Boden berührte. Das sieht gar nicht gut aus, Falconheart braucht wirklich Hilfe…
Das Mädchen richtete den Blick nach unten und starrte auf ihre Füße. Die Schuldgefühle kamen wieder und sie wusste nicht, wie sie ihrem Pferd hätte helfen können. Sie war so versunken in ihre gedanklichen Vorwürfe, dass sie nicht mitbekam, wie jemand auf sie zuging. Einen Meter vor Cheyenne blieb die Person stehen und sah sie an. Das Mädchen bemerkte die zwei Füße vor sich und blickte zu dem Unbekannten auf.
Vor ihr stand ein junger Mann mit beeindruckend schönen, eisblauen Haaren. An den Seiten seines Kopfes reichten sie fast bis zu Boden, vorne standen in beinahe alle Richtungen ab und an der Kopfrückseite schienen sie wuschelig und schulterlang zu sein. Die Haarpracht war sehr gepflegt und ließ den Mann edel wirken. Seine Augen waren klar und ebenfalls blau wie Eis. Selten hatte sie jemand so Schönes gesehen. Würde dieser Typ in der Hauptstadt leben, wäre er sicher ein Adeliger, dem niemals in den Sinn käme, jemand aus der Unterstadt auch nur anzusehen. So konnte Cheyenne kaum glauben, dass er sie ansprach. „Hey, hübscher Engel. Du siehst aus, als hätte es das Schicksal nicht gut mit dir gemeint.“
Das Mädchen sagte nichts darauf und starrte wieder ihre Füße an. Bildete sie sich das nur ein, oder hatte dieser Typ gerade ernsthaft versucht sie anzuflirten? Wie doch erste Eindrücke täuschen können… Oder sind alle Adeligen so drauf? Es ist mir auch eigentlich egal, er soll mich einfach in Ruhe lassen und verschwinden… Aber der junge Mann blieb stehen und nach ein paar Sekunden der Stille, ergriff er erneut das Wort. „Warum so traurig, hm? Ist alles in Ordnung mit dir?“ Cheyenne hob wieder den Kopf und sah ihn an. Das hatte sie nun wirklich nicht erwartet. Also war diesem Typen aufgefallen, dass es ihr nicht gut ging und trotzdem hatte er sie angegraben? Was ist denn bloß los mit der Welt… Aber das Mädchen hatte keine Lust auf ein Gespräch. „Mir geht’s gut… Ich will nicht unhöflich sein, also, danke, dass Ihr euch um mich sorgt, aber… lasst mich bitte einfach in Ruhe…“ Ihr Gegenüber legte den Kopf schief und machte nicht die geringsten Anstalten, zu gehen. „Also, wenn so ein Mädchen aussieht, dem es gut geht, muss ich wohl etwas verpasst haben.“ Auf Cheyennes Bitte, sie allein zu lassen, ging der junge Mann gar nicht erst ein. Im Gegenteil. Er kam sogar einige Schritte auf sie zu und setzte sich, mit etwas Abstand, neben sie auf die kleine Holztreppe. Das Mädchen sah ihn an und nahm seinen Geruch wahr. Ein starker Duft nach Blüten, gemischt mit dem von einem Tannenwald und Tannenzapfen. Das Bild eines eingefrorenen kleinen Sees, umrandet von mit Eis überzogenen Blumen, inmitten eines schneebedeckten Tannenwaldes kam ihr in den Sinn. Die Vorstellung daran war stark, klar und wunderschön.
Er wandte sich wieder Cheyenne zu. „Was ist passiert? Du wohnst nicht in diesem Dorf, habe ich recht?“ Seine zuvor noch fröhliche, gelassene Einstellung wandelte sich in eine Mitfühlende um. Das Mädchen gab sich geschlagen und seufzte auf. Sie würde wohl oder übel mit ihm reden müssen, wissend, dass er nicht einfach so gehen würde. Leise gab sie ihm eine Antwort. „Nein, ich bin nicht von hier.“ Der junge Mann nickte und Cheyenne senkte den Kopf.
„Oh, wie unhöflich von mir, ich habe mich dir noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Glaczio. Und wie heißt der wunderschöne Engel neben mir?“ Er schloss die Augen zur Hälfte und lächelte ein wenig. Das kann doch nicht sein Ernst sein, was ist denn los mit dem? Am liebsten hätte sie jetzt die Augen verdreht, tat es aber nicht. „Wenn Ihr mit ‚wunderschöner Engel‘ mich meint… Ich heiße Cheyenne.“ „Lass uns doch per Du sein. Diese ganzen Förmlichkeiten brauchen wir doch nicht, Süße.“ Glaczio schloss die Augen und grinste, sodass er den genervten Blick des Mädchens nicht sah. Jetzt auch noch Süße? Funktionieren diese Komplimente bei anderen Mädchen? Und mir wird immer nachgesagt, ich sei naiv…
Zumindest schaffte der junge Mann es, Cheyenne von ihrer Trauer abzulenken und irgendwie fühlte sie sich etwas besser, seit er in ihrer Nähe war. Ob es allerdings wirklich an diesem Typen lag, oder einfach daran, dass sie im Moment nicht alleine war, konnte sie nicht sagen. Cheyenne fand seinen Vorschlag gut und akzeptierte ihn, denn es fiel ihr ohnehin schwer, mit jemandem wie ihm so förmlich und höflich zu sprechen. „Ok, dann sind wir also per Du.“ Glaczio nickte und öffnete wieder die Augen. Er betrachtete Falconhearts Bein, das der Hengst immer noch angezogen hatte. Das Mädchen folgte seinem Blick. Er stand auf und ging näher an das große braune Pferd heran, um sich den Fuß genauer anzusehen. „Ist das dein Pferd? Das Bein sieht nicht unbedingt sehr gesund aus.“ Bevor Cheyenne etwas sagen konnte, betrachtete ihre neue Bekanntschaft auch schon Adocaz. Sein Blick blieb kurz an dem Feenwolf hängen und er schien verwundert zu sein. Er musterte die Wunden am Körper des silbernen Wolfs und zuletzt betrachtete er noch den Hals des Mädchens und dessen Hände. „Also… Es würde mich ja brennend interessieren, was dir passiert ist, allerdings wage ich zu bezweifeln, dass du es mir einfach so erzählen wirst.“ Verlegen und betreten wich Cheyenne seinem Blick aus. Glaczio schien sich in seiner Vermutung bestätigt zu fühlen, aber er würde dieses Thema später sicher noch einmal ansprechen, das wusste Cheyenne. Er sprach weiter. „Und, ist das hier nicht ein Feenwolf? Wo hast du so ein seltenes Tier gefunden? Vor allem, wie hast du es bewerkstelligt, dass es an deiner Seite bleibt?“ Eine berechtigte Frage. Feenwölfe sind die seltensten Tiere der Welt, seit Drachen ausgestorben waren und schenkten in ihrem ganzen Leben nur einer einzigen Person ihr Vertrauen, wenn sie sich überhaupt mit Menschen abgaben. Ist dies aber der Fall, blieben sie ihr Leben lang bei der Vertrauensperson ihrer Wahl und wichen dieser nicht von der Seite. Cheyenne wusste all das und war deswegen auch sehr stolz und glücklich darüber, Adocaz bei ihr zu haben. „Ich hab ihn vor ein paar Jahren im Winter als kleinen Welpen unter Schnee begraben gefunden. Er war dem Tod nahe, also hab ich ihn mit nach Hause genommen und ihn gesund gepflegt. Dann hat er sich offenbar entschlossen, den Rest seines Lebens an meiner Seite zu verbringen.“ Als wüsste der Feenwolf, dass über ihn gesprochen wurde, erhob er sich und drückte sich fröhlich an Cheyenne. Sie umarmte ihn und streichelte sein flauschiges Fell. Aber sowie das Mädchen einige der Wunden berührte, hatte sie wieder ein schlechtes Gewissen. „Adocaz… Auch du, Flaconheart… Es tut mir so leid, was passiert ist…“ Sie betrachtete die Verletzungen beider Tiere und Glaczio ging vor ihr in die Hocke. Mitfühlend sah er das Mädchen an. „Ich mach dir einen Vorschlag, Püppchen. Du scheinst ja ziemlich verzweifelt zu sein, also will ich mal dein Retter in der Not sein und dir helfen. Aber als Gegenleistung…“ Er blickte Cheyenne tief in die Augen und so wie er das sagte, erwartete sie fast, dass er für seine Hilfe etwas von ihr verlangte, dass sie nicht wollte oder könnte. Aber als er weitersprach, entspannte sie sich und war sogar ein wenig erleichtert. „Als Gegenleistung erwarte ich, dass du mir erzählst, was mit dir passiert ist.“ Das Mädchen gab es zwar ungern zu, aber im Moment war sie froh über jegliche Hilfe und würde nicht zögern diese anzunehmen. Sie müsste dafür ja nur erzählen, was gestern alles vorgefallen war. Inständig hoffte sie, dass sie das hinbekäme. Cheyenne willigte ein. „Also schön, einverstanden. Wenn du mir helfen kannst, werd ich dir erzählen, was gestern passiert ist. Aber mehr kann ich dir für deine Hilfe nicht geben… Ich habe kein Geld.“ Sie vermutete jedoch, dass Glaczio ohnehin mehr als genug davon hatte, so wie er aussah. Umso überraschter war sie, als seine Antwort kam. „Hey, Engelchen, wenn ich sage, ich will nur deine Geschichte hören, dann mein ich das auch so. Keine Sorge, ich bin nur neugierig und helfe gerne hübschen Mädchen in Not. Ich habe übrigens auch zurzeit kein Geld, also stehst du nicht alleine da. Hehe, glaub mir… man kommt auch gut ohne es aus.“ Also doch kein Adeliger? Ich war mir so sicher… Aber die Art und Weise, wie er den letzten Satz gesagt hat, gefällt mir nicht ganz… Was meint er damit? Hm… Glaczio wandte sich Cheyennes Wunden zu. „Also schön, als Erstes werde ich mich mal um deine Wunden an Händen und Hals kümmern. Ohne sie, bist du sicher noch umwerfender, als ohnehin schon. Du kannst mir vertrauen, ich bin Heiler.“ Cheyenne riss die Augen auf und öffnete den Mund erstaunt ein wenig. Ein Heiler? Wahnsinn! Ich habe noch nie zuvor einen gesehen! Heiler, waren Leute, die Heilzauber wirken konnten. Die Fähigkeit diesen Zauber zu beherrschen war noch seltener als Feenwölfe und nur bei sehr, sehr wenigen Menschen auf der Welt gegeben. Es sollte auch noch Elfen geben, die sich von Menschen angeblich nur durch ihre Ohren und ihre Klugheit unterschieden und man munkelt, dass diese begabter im Umgang mit heilender Magie wären. Offenbar brauchte man eine enorme Intelligenz, um Heilzauber wirken zu können. Zudem wurde erzählt, dass es jahrelange Forschung und Übung bräuchte, um richtig mit Heilzaubern umgehen zu können. Es gab Gerüchte in der Unterstadt, dass in der Oberstadt bis vor einem Jahr noch ein Heiler war, der den Rittern und dem König angehörte. Aber das Mädchen hatte ihn nie zu Gesicht bekommen. Wenn sie in die Oberstadt gegangen war, was ziemlich selten vorkam, weil ihre Großeltern es ihr verboten hatten, musste sie aufpassen nicht gesehen zu werden und konnte so nie an das königliche Schloss heran. Sie war zwar öfters ihrem Großvater auf dem Markt helfen, aber der grenzte direkt zum Aufgang von der Unterstadt zur Oberstadt und daher konnte man nicht viel von der Oberstadt sehen.
Cheyenne war verblüfft und konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie einen dieser hochintelligenten, seltenen menschlichen Heiler vor sich hatte. Sie konnte einfach nicht begreifen, wie jemand, der sie ‚Engelchen‘ und ‚Süße‘ nannte, einer der klügsten Menschen der Welt war und dass ihr so einer einfach in einem Dorf begegnete. Dass er dann noch nicht einmal Geld für seine Heilkünste haben wollte, war ihr unbegreiflich.
Glaczio grinste wieder, ehe er langsam und sanft Cheyennes Wunde am Hals berührte. Seine Hand war eiskalt, aber das Mädchen zuckte nicht zusammen. Mehr war sie verwundert und auch wenn ihr dieser junge Mann eigentlich total fremd war, glaubte sie, eine Spur von Geborgenheit in seiner Berührung zu fühlen und wurde ruhiger. „Stört es dich nicht, dass… meine Hand so kalt ist?“ Er wich Cheyennes Blick aus. So wie er das sagte, wusste sie, dass es ihm unangenehm war. Das war das erste Mal, dass sie ihn so ernst erlebte und er für einen kurzen Moment traurig zu sein schien. Das Mädchen fühlte langsam, dass Glaczios ganzer Körper eine unnormal niedrige Temperatur ausstrahlte. Aber Cheyenne lebte in der Unterstadt und war an Kälte gewohnt, es gab in ihrem Haus unzählige undichte Stellen, die Nächten und dem Winter Einlass gewährten. Trotzdem tat er ihr irgendwie leid, als er so geknickt zur Seite schaute. „Nein, ich bin Kälte gewohnt und habe auch eigentlich keine Abneigung gegen sie. Aber warum hast du eine derartige Untertemperatur? Das ist nicht normal.“ Er blickte ihr wieder in die Augen. „Hmpf, nur Auswirkungen eines… gescheiterten Experiments, das ich einst mitgemacht hab. Hey, es freut mich, dass es dich nicht stört, Süße.“ Cheyenne gab es auf. Er würde sie auf immer und ewig ‚Süße‘ und ‚Engel‘ nennen. Ob er noch wusste, wie sie eigentlich hieß? „Ich heiße nicht Süße, klar? Und ich bin auch nicht dein Engel oder Püppchen, oder was auch immer. Mein Name ist Cheyenne, kapiert?“ Doch Glaczio schien noch immer froh zu sein, dass Cheyenne mit seiner Untertemperatur kein Problem zu haben schien und ihr Widerstand, gegen seine Kosenamen, belustigte ihn. Er lächelte und für das Mädchen war dies ein eindeutiges Zeichen dafür, dass er nicht damit aufhören würde, ihr diese Namen zu geben. Sie würde es ignorieren lernen und sich daran gewöhnen.
Cheyenne fragte sich, wie lange der junge Mann noch bei ihr sein würde. Zwar war er der nervigste Typ, den sie je kennengelernt hatte, aber trotzdem mochte sie ihn irgendwo, irgendwie ein klein wenig und war doch froh, dass sie ihn getroffen hatte. Immerhin half er ihr. Aber natürlich vergaß das Mädchen nicht, dass ihr Freund Xaver ihr versprochen hatte, sie im Dorf Saraley zu treffen und sie deswegen so schnell wie möglich dorthin wollte, sobald es ihr und ihren Gefährten besser ging. Allerdings hatte sie keine Ahnung, wo sich dieses Dorf befand und wie sie dort hinkäme. Cheyenne würde später einfach ihre neue Bekanntschaft fragen.
Nun endlich durfte sie den Heilzauber sehen; Glaczio schloss die Augen und auf dem Boden zu seinen Füßen erschien ein weißer, magischer Zirkel, der sich drehte und aus dessen Mitte eine Art weißes Feuer hervortrat. Es wanderte über den Körper des jungen Mannes zu Cheyennes Wunde und brannte dort kurz, kalt und ein wenig schmerzend. Schon wieder etwas mit der Farbe Weiß? Am Ende ist es doch kein Markenzeichen der Ritter, oder warum seh ich sie hier schon wieder? Dieses weiße Feuer sieht genauso aus wie der weiße Nebel, der den Wolf umgeben hat, der Adocaz vorhin angegriffen hat… Ist das überhaupt Nebel oder Feuer? Ich sollte Glaczio fragen… Der weiß das sicher. „Ähm, Glaczio? Wie genau funktionieren eigentlich diese Heilzauber und was ist das für ein weißer Nebel?“ Der junge Mann nahm gerade Cheyennes Hände und wirkte dort ebenfalls den Heilzauber. Ihre Wunden waren komplett verheilt und verschwunden, als wären sie nie da gewesen. Sie bedankte sich und danach erklärte er ihr, was sie wissen wollte. „Ich wandle mit einem Heilzauber Lumenium aus der Umgebung in Körpereigenes um und lasse es dann in die Körper der Verwundeten fließen. So muss nicht erst körpereigenes Lumenium in deinem Körper produziert werden, um die Wunde zu heilen, da ich es ihm zur Verfügung stelle und eine sofortige Wundheilung tritt ein. Der ‚weiße Nebel‘, wie du es nennst, ist Lumenium, dass ich soeben aus der Erde bezogen habe.“
Lumenium? Was ist denn das? Cheyenne hatte dieses Wort noch nie gehört, aber es schien in der Natur vertreten zu sein. Das war genug Grund, um genaueres darüber zu erfahren. „Was ist Lumenium? Und warum ist es weiß? Ich dachte diese Farbe gäbe es in der Natur nicht und sie sei eine künstlich hergestellte?“ Glaczio legte den Kopf etwas schief und zog eine Augenbraue etwas hoch. „Du… weißt nicht was Lumenium ist? Hast wohl in Geographie in der Schule nicht aufgepasst, was? Lumenium ist eine der zwei Kräfte, oder Energien, die diese Welt am Leben erhalten. Ganz Terrenox Libertia ist auf diesen Beiden aufgebaut. Alle Lebewesen und Gegenstände bestehen aus dieser Energie. Das Lumenium ist für die Form von etwas zuständig, also zum Beispiel besteht dein Körper aus dieser Kraft, oder ein Baum, oder ein Schwert. Jede physische Form besteht aus Lumenium. Die zweite Kraft, Umbraurore, ist für alles Leben zuständig. Es bildet unsere Seelen und unseren Lebenswillen, sorgt dafür, dass Bäume und Pflanzen wachsen und wenn jemand enorm viel Umbraurore in seinem Körper hat, ist er fähig Elementar-Magie zu wirken. Also, als Beispiel fiele mir jetzt nur eines ein, dass du kennen könntest; Sicher hast du schon mal diese Straßenkünstler gesehen, die Feuerbälle erschaffen und sie in der Luft tanzen lassen? Diese Feuerbälle entstehen aus ihrem körpereigenen Umbraurore. Lumenium ist in seiner unphysischen Form weiß, bis es die Gestalt von etwas annimmt und Umbraurore ist, wenn es nicht in Magie umgewandelt wird, schwarz. Ich hoffe, damit konnte ich deine Frage beantworten.“ Er zwinkerte der verblüfften Cheyenne zu. So viel Wissen und Kenntnis hatte sie nicht erwartet. Zudem hatte Glaczio es so erklärt, dass sie es auch wirklich verstand. Der Grund für ihre Unkenntnis war vermutlich, weil sie nie eine Schule besucht hatte und ihre Großeltern ihr alles soweit beigebracht hatten, jedoch, so schien es, hatten sie auch nicht alles gewusst. Aber das konnte er ja nicht wissen und das Mädchen wollte es ihm noch nicht sagen. Sie kam sich nun ohnehin schon ziemlich unwissend vor.
Cheyenne war dankbar, dass er ihr das erklärt hatte. Vielleicht würde sie den jungen Mann später auch noch fragen, was es mit diesem aus Lumenium bestehenden Wolf auf sich hat, den sie gesehen hatte. Er wüsste dies sicherlich auch. Im Handumdrehen heilte Glaczio auch die Verletzungen von Cheyennes beiden Vierbeinern und setzte sich wieder neben sie auch die Treppe. Jetzt wollte er sicher, dass sie ihr Versprechen einlöste und ihm erzählte, was vorgefallen war. Sie lag mit ihrer Vermutung genau richtig. „So, hübscher Engel. Dann erzähl mir doch jetzt mal, was dir widerfahren ist. Du hast meine volle Aufmerksamkeit, Süße.“
Cheyenne schloss kurz die Augen, um nachzudenken, wie sie am besten anfing zu erzählen. Dann fiel ihr ein Ansatz ein und sie senkte ihren Blick, bis sie nur noch ihre Füße sah. „Also… Ein Versprechen ist ein Versprechen, ich erzähle dir alles was mir passiert ist, gestern Nacht, aber… es ist nicht so schön und verzeih mir, wenn ich von Zeit zu Zeit eine Sprechpause einlegen muss, um mich wieder zu sammeln… Gut, dann fang ich jetzt an. Eigentlich war gestern alles wie immer, ich bin aufgestanden, hab meiner Großmutter ein bisschen im Haushalt geholfen, ich wohnte bis gestern noch bei meinen Großeltern, mich dann kurz mit meinem besten Freund Xaver getroffen und bin danach mit meinem Pferd, es heißt übrigens Falconheart, ausgeritten. Adocaz, also mein Feenwolf, ist natürlich wie immer mitgekommen. Ich wollte am Nachmittag wieder zurück sein, um Großvater auf dem Markt zu helfen. Bis es soweit war, bin ich zu meinem Lieblingsplatz geritten und bedauerlicherweise dort eingeschlafen. Adocaz hat mich irgendwann aufgeweckt, aber da waren schon fast keine Chromasterne mehr am Himmel, somit hatte ich verschlafen und der Markt war da sicher schon vorbei. Ich hab mir noch gedacht, dass Großvater sicher wütend auf mich sein wird und mich schon auf eine Moralpredigt, von wegen zu spät kommen und so, eingestellt, als ich so schnell wie möglich nach Hause geritten bin. Als ich daheim ankam war es schon fast dunkel und es fing an zu regnen. Da hatte ich schon ein ungutes Gefühl, weil meine Nachbarin mich so komisch angeschaut hat. Als dann auch noch die Tür offenstand und in der Wohnung Blutspuren waren, dachte ich erst, meine Großeltern wären tot. Nirgends aber, waren ihre Leichen zu finden und ich hätte mir eigentlich gleich denken können, dass die Ritter da waren und Steuern eintreiben wollten, wir aber kein Geld hatten, um sie zu bezahlen. Es gab nämlich vor ein paar Wochen bei uns einen Sturm, der den Großteil unserer Ernte vernichtet hatte und Großvater am Markt, mit dem Rest davon, nicht mehr viel verdienen konnte. Aber ich war in diesem Moment so durcheinander, dass ich nicht klar denken konnte. Zum Glück ist dann Xaver gekommen und hat mir beigestanden. Wir haben daraufhin meine Nachbarin Rosi gefragt, ob sie was gesehen hat, natürlich hatte sie etwas mitbekommen, denn meine Großmutter ist … war ja ihre beste Freundin gewesen. Jedenfalls hat sie dann gesagt, dass meine Großeltern in das Laboratorium in der Nähe der Hauptstadt gebracht worden waren, hat mir eine kleine Schriftrolle gegeben, die ihr meine Großmutter ihr anvertraut hatte und gesagt hatte, Rosi solle sie mir überreichen. Das Papierchen war mir aber ziemlich egal in dem Moment, ich bin dann zum Labor geritten, um meine Großeltern zu befreien, Xaver hat mich begleitet. Das Gebäude war natürlich bewacht und so hatten wir Schwierigkeiten beim Hineinkommen. Zwei von drei Wachposten konnte Adocaz ablenken, aber der dritte hat mich erwischt und mir die Wunden verpasst, die du gerade geheilt hast. Danke nochmal dafür. Wenn Xaver nicht da gewesen wäre und dem Wächter nicht eins mit seinem Schwert übergezogen hätte, wär ich jetzt tot. Dann sind wir ins Gebäude reingekommen, durch seine Cleverness und … eigentlich hätte mir da schon etwas auffallen müssen, es war nämlich im ganzen Komplex niemand zu sehen. Normalerweise hätte es dort nur so von Forschern und Rittern wimmeln müssen. Aber ich habe vermutet, dass die alle schlafen, immerhin war Nacht, und ich hab mir keine weiteren Gedanken darüber gemacht. Dann sind wir in diesen grauenvollen Forschungsraum gekommen, wo ein Forscher eine Durchsage gemacht hat, zufällig genau mit dem Aufenthaltsort meiner Großeltern. Mir hätte auch das gleich komisch vorkommen sollen, aber ich bin einfach zu meinen Großeltern gelaufen und war froh, sie am Leben zu sehen…“ Cheyenne machte eine Pause, denn sie zitterte wieder, als sie sich die schrecklichen Geschehnisse, die sie verdrängen wollte, wieder ins Gedächtnis rufen musste. Sie atmete tief ein und aus, versuchte sich wieder zu sammeln und unterdrückte ihre Tränen, denn vor Glaczio wollte sie nicht anfangen zu weinen. Dann sprach sie weiter. „Plötzlich kam ein Ritter in goldener Rüstung… Er hatte sechs weitere Ritter bei sich. Ich glaube, das war ein höherrangiger Ritter, einen Umhang hatte er auch. Und einen komischen Haarschnitt… Ohne sich vorzustellen, hat er seine Männer um mich, Xaver und meine Großeltern versammeln lassen und fing an wirres Zeug zu reden. Er meinte, ich sei dumm, dass ich meine Kette mit einem schwarzen Kristall, der daran angehängt ist, ständig trage. Dann hat er gesagt, dass meine Großeltern mir etwas nicht erzählt hätten, und dass er sie nur als Köder benutzt hätte, um mir eine Falle zu stellen. Mein Großvater war so empört, dass er den goldenen Ritter beschimpft hat… und… der hat dann… den Befehl an zwei seiner Männer gegeben… dass sie meinen Großvater… t-töten sollten und genau das… taten sie dann auch…“ Cheyenne schluckte und machte wieder eine kurze Pause. Nun konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten und sie kullerten über ihre Wangen. Das Mädchen wischte sie mit der Hand weg, schluchzte und versuchte stark zu sein. Sie schloss die Augen und sprach weiter. „Ja und dann… dann… ist auch noch meine Großmutter neben mir an den Folgen irgendeines bescheuerten Experiments gestorben… Sie hat noch irgendwas von wegen ich sei die letzte Hoffnung der Welt oder so gesagt… Ab da kann ich mich nur mehr verschwommen an die Dinge erinnern, die danach passiert sind. Irgendwie war auf einmal Adocaz da und hat mit seiner Magie das Gehege Gitter zerstört, wo meine Großeltern eingesperrt waren und Xaver hat unsere Pferde gerufen und mich zu ihnen geschleppt, hat mir auf Falconheart geholfen und dann sind wir in den Wald geflohen. Aber die Ritter sind uns gefolgt und Xaver meinte, wenn wir uns aufteilen, wäre es leichter sie abzuhängen. Und weil sie offenbar hinter mir und meinem Kristall her waren, brauchte er meine Kette, damit sie ihm auch wirklich folgten. Dann haben sich die sechs Ritter aufgetrennt und ich bin die ganze Nacht auf der Flucht gewesen, bis wir sie schließlich abgehängt hatten. Sie hatten diese schnellen weißen Pferde, aber Falconheart ist zum Glück auch ein unglaublich schnelles Pferd, ihn hab ich aus dem Labor gerettet vor ein paar Jahren. Er sollte dort sterben, wegen eines Experiments, das wie so oft, schiefgegangen war und die Ritter ihn nicht als Reitpferd brauchen konnten. Xavers Pferd, Shiva, ist auch so ein Fall. Aber… Ich versteh das alles einfach nicht… Warum würde jemand mir eine Falle stellen? Wozu? Ich hab mir nie etwas zu Schulden gekommen lassen. Nun kann ich nicht einmal mehr nach Hause und weiß nicht wo Xaver ist. Und warum will jemand meine Kette haben, die ich von meiner Mutter zu meiner Geburt geschenkt bekommen hab? Mutter ist übrigens bei meiner Geburt ums Leben gekommen und meinen Vater hab ich nie kennengelernt, ich weiß rein gar nichts über ihn. Falls du das auch noch wissen willst.“ Cheyenne blickte zum Himmel auf und betrachtete zwischen den Baumkronen ein paar der bunten Wolken und die Chromasterne. Sie waren beruhigend und das Mädchen konnte aufhören zu weinen.
Glaczio hatte ihr die ganze Zeit über zugehört, kein einziges Mal hatte er sie unterbrochen. Cheyenne war überrascht, dass er ihrer Geschichte so schweigsam gelauscht hatte. Jetzt schien er nachdenklich zu sein. Der junge Mann schien auch einige Fragen zu haben, die er dem Mädchen nun stellte. „Erst mal, allem vorweg, Engelchen, es tut mir ehrlich wahnsinnig leid, was dir passiert ist. Ich hatte mir zwar schon gedacht, dass dir etwas Schlimmes widerfahren ist, aber dass es gleich solche Ausmaße hat, wäre mir nicht in den Sinn gekommen. Ich weiß wie du dich fühlen musst. Ich habe auch vor circa einem Jahr meine ganze Familie an einem Tag verloren, dank der Ritter. Nach Hause kann ich auch nicht mehr, weil… nun ja… sie haben das Haus, in dem ich gelebt hatte niedergebrannt und… mich aus der Stadt gejagt. Ich war sicher nicht der Einzige, dem so etwas passiert ist. Wenn den Rittern langweilig wird… kommt eben …“, er sah sich um, bevor er den Satz leise zu Ende sprach, „… nichts Gutes dabei raus. Wo wir gerade bei Stadt sind… Du kommst aus Excidoma Magna, habe ich Recht? Die Hauptstadt ist der einzige Ort hier in der Nähe, wo Steuern verlangt werden und das nur von den armen Leuten in der Unterstadt. Ich hatte nicht geglaubt, dass jemand, der so hübsch ist wie du, aus dem Elendsviertel kommt.“ Cheyenne nickte und senkte verlegen den Blick. Sie wusste nicht, ob Glaczio das als Kompliment gemeint hatte, oder ob es eher Abneigung war. Er schien sich offenbar gut in der Hauptstadt auszukennen. Cheyenne hatte sich zwar noch nie für ihre Heimat geschämt, nun aber war sie sich dessen nicht mehr so sicher. Auch wenn der junge Mann neben ihr verjagt worden war, schien er aus edlem Hause gekommen zu sein und da war ihr ihre Herkunft dann doch etwas peinlich. Sie konnte sich nicht gegen das Gefühl wehren, auch wenn sie ihr Zuhause immer noch mochte. Cheyenne war erleichtert, als Glaczio ihre Heimat offenbar nicht störte. Immer noch mit nachdenklichem Blick sprach er weiter. „Keine Sorge, eigentlich ist es mir egal, wo du herkommst. Außerdem könnt ihr ja auch nichts dafür, dass der König über euch bestimmt und mit eurem Leben spielt. Ich sage es nur ungern, aber vielleicht ist es sogar besser, dass du jetzt von dort weg bist… Nun gut, ich habe einige Fragen an dich und ich hoffe sehr, du gewährst mir sie zu stellen und zu beantworten, Engel?“ Cheyenne nickte. Es war wohl das Mindeste, was sie für ihn tun konnte, nachdem er ihre und die Wunden der zwei Vierbeiner geheilt hatte. Dann ergriff Glaczio erneut das Wort. „Sehr schön. Der Ritter in goldener Rüstung, den du erwähnst hast, hat also von einer Falle gesprochen? Er wollte dich und deine Kette haben, mit einem schwarzen Kristall daran als Anhänger, die du seit deiner Geburt hast, ja? Das ist ja schon ziemlich seltsam, man kann doch überall solche Ketten kaufen und was wollen die Ritter denn mit einem schwarzen Gegenstand… Ein schwarzer Kristall… So wie sich das alles anhört, werden dich die Ritter weiter verfolgen, Schätzchen, die scheinen irgendwas an dir zu finden, von dem du noch nichts weißt… Fest steht, dass du von nun an sehr vorsichtig sein musst, in allem, was du tust. “ Glaczio schien mehr zu wissen, oder zumindest zu vermuten, als er sagen wollte. Schon wieder wurde Cheyenne etwas verheimlicht, das vermutlich wichtig für sie war. Warum nur scheinen andere Leute immer mehr über mich zu wissen als ich selber? Und warum zur Hölle wollen diese Leute mir nie sagen, was eigentlich vor sich geht? Es wäre sicher gut zu wissen und garantiert wichtig für mich… Immerhin wurde ich gejagt und mein Kristall scheint auch irgendwie besonders zu sein. Warum waren die letzten Worte von Großmutter gewesen, dass ich die letzte Hoffnung für die Welt bin? Hat sie am Ende vielleicht nicht mehr gewusst, was sie redet? Argh… Ich will endlich wissen, was hier los ist!
Gerade als Cheyenne Glaczio fragen wollte, was ihm durch den Kopf ging und was er zu wissen schien, stellte er bereits seine nächste Frage. „Der Ritter in goldener Rüstung, mit dem komischem Haarschnitt und Umhang Kannst du mir den näher beschreiben, Süße?“ Das Mädchen würde versuchen ihm eine ausführliche Antwort zu geben, denn immerhin hatte sie versprochen, alles zu erzählen, was er wissen wollte. Ihre Fragen würde sie ihm einfach später stellen. Sie versuchte sich an den grausamen Mann zu erinnern, der ihre Großeltern hatte töten lassen. „Also… er war ziemlich groß, seine goldene Rüstung war mit weißen Plättchen besetzt, seine Haare sahen aus wie aufgehängte Drei- oder Vierecke… sehr komisch jedenfalls, die Haarfarbe war braun, mit Strähnen, die eine grünliche Farbe hatten und ein Haarteil und die Haarspitzen waren weiß. Seine braunen Augen waren auch ganz komisch, eine Pupille war weiß und die andere normal. Sein Umhang war ebenfalls in einem Grünton. An mehr kann ich mich nicht erinnern…“ Cheyenne hoffte, dass Glaczio ihre Beschreibung reichen würde. Er schien damit offenbar wirklich sehr viel anfangen zu können, denn er erkannte den Ritter. „Hm, so wie du ihn beschrieben hast, Engelchen, ist der Ritter der Herrscher von Halonien, dem Kontinent, der an Luminastrelle angrenzt. Sein Name ist Atropax und er ist der Boss unter den fünf mächtigsten und wichtigsten Ritter der ganzen Welt. Er trägt deswegen auch den Titel Kommandant. Aber was würde der hier wollen? Luminastrelle ist nicht sein Auftragsgebiet… Vielleicht ein Treffen der fünf Herrscher im Hauptsitz der Ritter in der Hauptstadt? Hm…“ Glaczio schien ein Experte auf dem Gebiet der Ritter zu sein und das verunsicherte Cheyenne ein wenig. Wieder schien er mehr zu wissen, als sie, aber er machte auch diesmal keine Anstalten das Mädchen in seine Gedanken einzuweihen. Alles, was er im Moment sagte, war absolut neu für sie. Vielleicht weiß er auch so viel, weil er Heiler ist. Er hat sicher eine anspruchsvolle Schule besucht und vermutlich weiß er deswegen so viel über die Ritter. Sie wollte nun unbedingt endlich wissen, warum er seine Überlegungen nicht mit ihr teilte, so schien es doch wichtig für sie zu sein, aber sie musste sich gedulden, bis Glaczio keine Fragen mehr an sie hatte.
Sein Blick wurde immer nachdenklicher und er fragte Cheyenne erneut etwas. Warum interessierte er sich eigentlich so für sie? „Deine Geschichte nimmt seltsame Ausmaße an, Süße. Ach, und wie war das noch gleich? Die Sterbeworte deiner Großmutter waren, dass du die letzte Hoffnung der Welt seist? Hm… Ähm, sie hat dir doch eine Schriftrolle vermacht, hast du gesagt? Aber du hast noch nicht gelesen, was darin geschrieben steht, nicht wahr? Dürfte ich sie mir mal ansehen?“ Cheyenne nickte und stand auf. Die Schriftrolle war in ihrer Satteltasche, also ging sie zu Falconheart und holte das Stück Papier. Sie hatte ja selber noch nicht gesehen, was drin stand und war nun neugierig geworden. Außerdem wollte ja ihre Großmutter, dass das Mädchen das Schriftstück bekam. Cheyenne kramte die kleine Schriftrolle aus der Satteltasche hervor, ging zu Glaczio zurück und setzte sich wieder hin. Sie rollte das Papier aus und hielt es so, dass sie und ihre Bekanntschaft gleichermaßen etwas davon sehen konnten. Erstaunt stellte das Mädchen fest, dass rein gar nichts darauf geschrieben stand. Warum hat mir meine Großmutter ein leeres Stück Papier gegeben? Der junge Mann neben Cheyennen schien ebenfalls überrascht und legte den Kopf schief. Ein paar Sekunden betrachteten beide die unbeschriebene Schriftrolle und suchten mit ihren Augen jeden Winkel darauf ab. Aber es war kein einziger Buchstabe zu sehen.
Gerade als Cheyenne das Papier wieder zusammenrollen wollte, geschah etwas Seltsames; Aus dem Nichts heraus erschien eine schwarze Schrift, die sich etwas bewegte, so als wäre sie durch Wellen aufgeschrecktes Wasser. Es dauerte etwas, bis einige Buchstaben zu sehen waren, verteilt auf dem ganzen Zettel. Aber es waren nur wenige, einzelne. Das einzige Lesbare, was auf der Schriftrolle erkenntlich war, war Cheyennes Name, in der oberen Hälfte des Papiers. Glaczio schien nun etwas verwirrt zu sein und er teilte seine Gedanken mit dem Mädchen. „Also das… ist seltsam. Diese schwarzen Buchstaben sehen aus, als wären sie mit Umbraurore geschrieben. Aber… es bedarf einen enorm starken und mächtigen Zauber, um ein Stück Papier damit zu beschreiben. Abgesehen davon, ist die Kunst etwas mit der Kraft des Lebens zu beschriften vor langer Zeit verloren gegangen. Soweit ich weiß, gibt es niemanden mehr auf dieser Welt, der noch mit Umbraurore schreiben kann. Hm… Dein voller Name ist also Cheyenne LeBlesse? Was für ein schöner Name. LeBlesse bedeutet ‚die Gesegnete‘ in der alten Yin-Yang Sprache. Bevor du jetzt fragst, woher ich das weiß – ich musste das in meiner Ausbildung lernen. Aber viel mehr erkennt man hier nicht. Nur noch das erste Wort hier ist lesbar: ‚Aus‘. Nun, ich denke, damit können wir nicht viel anfangen, oder was meinst du, Püppchen?“ Cheyenne teilte seine Meinung und rollte das Papier wieder zusammen. Aber die Schriftrolle beschäftigte sie. Warum schreibt jemand etwas für mich auf ein Stück Papier? Noch dazu mit einem offenbar so starken Zauber. Aber Glaczio hat gesagt, niemand könne diesen vergessenen Zauber noch anwenden. Das ist seltsam… Dass mein Nachname ‚die Gesegnete‘ heißt war mir auch unbekannt. Meine Großeltern hatten auch diesen Nachnamen, aber bei Großvater wird es dann ja wohl ‚der Gesegnete‘ geheißen haben. Ich hätte auch so gern die Sprache des Yin-Yang Zeitalters gelernt… Die antike Yin-Yang Sprache wurde heutzutage von niemandem mehr gesprochen, aber manchmal wird sie noch in Schulen gelehrt. Diese wenigen Lernstätten waren allerdings sehr teuer und meistens konnten sie nur von Kindern mit adeligen Eltern besucht werden. Glaczio hat es sicher gut gehabt… Er konnte so viel lernen und seine Eltern haben ihm sicher jeden Wunsch von den Lippen abgelesen…
Cheyenne musste offenbar sehr leicht zu durchschauen sein, denn Glaczio konnte ihre Gedanken lesen. „Du hättest auch gern viel gelernt, nicht wahr, Engelchen? Ich sehe dir an, dass du gern auf eine gute Schule gegangen wärst, aber eine normale hätte dir auch schon gereicht, hm? Ich weiß, dass ihr Unterstadt-Leute kein Geld für Lernstätten übrig habt. Sehr schade, wenn du mich fragst. Der König nimmt euch alle Möglichkeiten auf eine Zukunft… Und die Ritter sorgen dafür, dass ihr auch nicht das nötige Geld zum Auswandern habt…“ Nun hat er selbst herausgefunden, dass sie keine Schule besucht hatte. Aber anstatt sie deswegen zu verachten oder auszulachen, seufzte er und schüttelte den Kopf. Dieser Mann war nicht so wie die anderen. Jeder Adelige in Excidoma Magna würde sich über die Leute in der Unterstadt lustig machen, sie beschimpfen und sich vollends auf die Seite des Königs schlagen. Aber Glaczio hatte Mitleid mit ihnen und Cheyenne war sich sicher, dass er, wenn er die nötigen Mittel dazu hätte, ihnen helfen würde. Auch wenn er der nervigste, unanständigste und teilweise auch unhöflichste Typ war, den sie je kennengelernt hatte und der ihr Kosenamen gab, obwohl sie ihn darauf hingewiesen hatte, dass sie schon einen Namen hat, so besaß er doch ein gutes Herz.
Als sie ihn reden gehört hatte, staute sich Wut in ihr auf und sie sprach aus, was sie dachte. „Ich hasse den König und vor allem die Ritter! Der eine macht uns das Leben zur Hölle und die anderen töten unschuldige Menschen.“ Das hatte sie lauter gesagt, als sie eigentlich vorgehabt hatte, aber es war ihr auch egal. Sie machte sowieso kein Geheimnis aus ihrer Abneigung den Rittern gegenüber. Immerhin hatten sie ihr Leben zerstört. Doch Glaczio neben ihr zuckte bei diesen Worten zusammen und schaute nervös in alle Richtungen. Aber es war niemand in der Nähe, der gesehen haben könnte, wer die Ritter beschimpft hat. Erleichtert atmete er auf und wandte sich dann so ernst, wie noch nie an Cheyenne. „Hey, ich weiß ja nicht wie das bei euch in der Unterstadt immer so abgelaufen ist, Schätzchen, aber du bist nicht mehr zuhause. In der echten Welt sieht es ein bisschen anders aus. Sobald du hier einen Ritter beleidigst, oder auch nur etwas sagst, oder machst, dass als solches verstanden werden könnte, bist du schon so gut wie tot. Vor allem in Luminastrelle… Außerhalb der Hauptstadt halten sich die Ritter mit ihren Tyranneien zurück und haben viele Anhänger, die an ihre Ideale an eine bessere Welt glauben und diese Leute verraten dich sofort. In der Regel ist es so: Wenn jemand einen Ritter beschimpft oder etwas tut, was die Ritterschaft nicht gutheißt, geht es demjenigen und seiner Familie an den Kragen. Denn jeder der gegen die Ritter ist, könnte zur anderen Seite gehören. Du weißt vermutlich gar nichts darüber… In der Hauptstadt bekommt man nicht so viel von der Außenwelt mit. Also, um es kurz zu fassen: Nicht jeder ist mit den Rittern und ihren Machenschaften zufrieden und deswegen wurde eine Organisation gegründet, die seitdem gegen die Ritter Krieg führt. Du hast vermutlich noch nie etwas vom Krieg zwischen den Lichtrittern und den Schattendienern gehört? Die Schattendiener sind Freiheitskämpfer, deren Ziel es ist, die Welt von der Herrschaft der Ritter zu befreien. Die werte Ritterschaft hat nämlich vor, die Welt zu verändern. Man könnte auch sagen, dass sie vorhaben, das Yin-Yang Zeitalter wieder aufblühen zu lassen. Sie wollen erreichen, dass die Welt wieder so ist, wie vor der zerstörerischen Apokalypse damals. Nun denken aber die Schattendiener, dass das vollkommener Schwachsinn ist, da sich damals alles verändert hat und sie glauben, dass wenn die Welt erneut geändert wird, sie dem Untergang geweiht ist. Deswegen kämpfen sie gegen die Ritter. Aber zurzeit sind diese Freiheitskämpfer noch nicht stark genug und haben zu wenige Mitglieder, um sich gegen die Ritterschaft behaupten zu können. Und neue Anhänger lassen sich schwer finden, denn viele, die sich den Schattendienern angeschlossen haben, sind unmittelbar darauf ermordet worden und die Ritter schüchtern ja sowieso alle ein. Die Leute sind zu verängstigt, um die Seiten zu wechseln. Aber mehr… weiß ich über diese ganze Sache nicht, Engelchen.“ Während Glaczio ihr das alles leise erzählt hatte, war Cheyenne die Kinnlade heruntergefallen. Sie hatte seit ihrer Geburt von alldem nie etwas mitbekommen. Offenbar hatte sie in einer ganz anderen Welt gelebt. Ihre Großeltern schienen von dem Krieg auch nichts gewusst zu haben, aber selbst, wenn sie es taten, hatten sie ihr nie etwas davon erzählt. Seit sie in diesem Dorf angekommen war und mit Glaczio ins Gespräch kam hatte sie so viele Dinge über die Welt gelernt, alles war so neu. Cheyenne war einfach nur fassungslos. Innerhalb eines Tages hatte sich alles verändert. Es war, als wäre ihr bisheriges Leben eine Glaskugel, die in tausend Scherben zerbrach. Nie hätte sie gedacht, dass in der Außenwelt mehr los war als in ihren kühnsten Träumen. Das Mädchen war neugierig geworden und auch ein wenig aufgeregt, aber gleichzeitig war sie verängstigt, denn die Welt schien sehr gefährlich zu sein. Die Ritter waren also nicht nur da, um Leute zu tyrannisieren und zu töten, sondern, weil sie eine ernsthafte Aufgabe hatten? Aber auch wenn Cheyenne so gut wie nichts über diese Welt zu wissen schien, so wurde sie von ihren Großeltern irgendwann über die Apokalypse, die zum Ende des Yin-Yang Zeitalters geführt hatte, unterrichtet. Damals hatte sich der ganze Lebenskreislauf auf wundersame Weise verändert und alle Menschen, die im letzten Krieg davor ihr Leben verloren hatten, bekamen nach der Weltwandlung, wie durch ein Wunder ein zweites Leben geschenkt. Danach herrschte für lange Zeit Frieden. Niemand wusste, was dieses Wunder war und Archäologen und Historiker arbeiteten hart daran, es herauszufinden, aber sie haben nie einen brauchbaren Anhaltspunkt gefunden.
Glaczio sah Cheyenne zu, wie sie nachdachte. Er schien sich Sorgen zu machen, sagte aber nichts. Um das Mädchen von den trüben Gedanken über Krieg und Veränderungen wegzubringen, stellte er ihr stattdessen wieder eine Frage. „Püppchen, du hast mir noch gar nicht erzählt, wie du überhaupt hierhergekommen bist? Ich meine, es war Nacht, du konntest nichts sehen, warst orientierungslos und verwirrt und wurdest auch noch gejagt.“ Cheyenne schenkte ihm wieder ihre Aufmerksamkeit. Ihr war klar, dass er sie damit nur ablenken wollte. Er findet sicher, dass ich mir nicht so viele Gedanken über die Welt machen soll. Aber wie würde er denn an meiner Stelle reagieren? Das ist alles so verwirrend. Aber sie hatte ihm nun mal versprochen, ihm absolut alles zu erzählen… „Ähm, ja… Also, ich weiß, dass jeder es schwer findet in der Nacht etwas zu sehen, aber mir fällt das leicht, ehrlich. Ich sehe ziemlich gut nachts. Als Xaver dann weg war, hab ich einfach versucht, die Ritter abzuhängen und als der Morgen anbrach, waren ich, Adocaz und Falconheart im Wald und da hab ich erst kapiert, wo ich eigentlich bin. Auf einmal wurde Adocaz von einem komischen weißen Wolf angegriffen. Ich glaube, er bestand aus Lumenium, weil er aus demselben weißen Nebel, wie dein Heilzauber vorher war. Die zwei haben sich einen Kampf geliefert und daher kamen die Wunden. Der weiße Wolf hat kurz nicht aufgepasst und wir haben die Gelegenheit genutzt und sind geflüchtet. Aber auf dem Weg lag ein riesiger Baumstamm und ich hab Falconheart darüber springen lassen. Da er die ganze Nacht durchgelaufen war, hatte er überhaupt keine Kraft mehr und er hat sich das Bein an dem Baum angeschlagen. Auf der anderen Seite ging es dann so weit abwärts, dass er nochmal schwer aufgekommen und eingeknickt ist. Daher kam seine Verletzung. Von der Stelle, wo wir dann waren, konnte ich dieses Dorf sehen und wir sind hier gelandet und naja, gleich darauf hab ich dich getroffen.“ Glaczio dachte kurz nach, dann sagte er wieder etwas. „Du kannst nachts sehr gut sehen, hm? Außergewöhnlich… Also, das hört sich ganz so an, als wärst du im Wald einem Lumenium-Dämon begegnet. In Luminastrelle sind die allerdings eher selten, weil sie ständig von den Rittern eliminiert werden… Du scheinst auch über Dämonen nichts zu wissen, nicht wahr, Engelchen? Na, dann will ich dir das auch mal erklären. Es gibt Lumenium- und Umbraurore-Dämonen. Sie sind eines Tages innerhalb der letzten zwanzig Jahre aufgetaucht. Lumenium-Dämonen entstehen aus einem Mangel an Lumenium in der Welt. Es gibt einen Kreislauf, der allerdings durch zu viele Experimente mit dieser Kraft gestört wird. Also, um es zu veranschaulichen: Die Körper der Menschen und Tiere bestehen aus Lumenium, das weißt du jetzt ja bereits, wenn also ein Baby geboren wird, wird für seinen Körper Lumenium aus der Erde genommen und quasi ausgeliehen. Wenn ein Mensch oder ein Tier stirbt, braucht es allerdings ungefähr zehn Jahre, bis der tote Körper die Struktur von menschlichem oder tierischem Lumenium in Erd-Lumenium umgewandelt hat. So lange es nicht umgewandelt ist, kann die Welt es nicht zurücknehmen. Da aber die Forscher so viel mit Lumenium experimentieren, entstand ein Mangel dieser Kraft. Weil immer weniger davon für die Welt zur Verfügung stand, wandelten sich die toten Körper schneller um, mit der Folge, dass die Zeit nicht reichte, um die Struktur ganz zu verändern und anzupassen. Die Leichen wurden daher zu Lumenium in seiner nicht physischen Form und dessen Struktur so fehlerhaft, dass es nicht einmal mehr eine physische Form annehmen kann. Das Ergebnis wird dann Dämon genannt. Es nimmt eine Form an, zum Beispiel die eines Wolfes, so wie du es gesehen hast, kann sie aber auf Dauer nicht halten und auch nicht die Farbe davon annehmen. Terrenox Libertia kann nicht genug der Kraft produzieren, um die Welt wieder ins Gleichgewicht zu bringen und solange so viele Leute sterben und die Experimente nicht aufhören, wird sich die Erde nicht erholen und die Dämonenplage immer schlimmer werden. Hier in Luminastrelle versuchen die Ritter, die Dämonen in Schach zu halten, aber diese Wesen sterben nicht. Das Lumenium wird nur für einige Zeit zertrennt, bis es sich wieder zusammenschließt und ein neues Wesen bildet. Sobald ein Dämon entstanden ist, verliert er die Fähigkeit die Lumenium-Struktur zu verändern und kann nicht mehr zu erdeigenem Lumenium werden. Deswegen geht die Anzahl der lebenden Wesen immer mehr zurück und die der Dämonen wird größer. Diese Monster haben natürlich keine Seelen und keinen Lebenswillen, somit also kein Umbraurore. Aber auch diese Kraft muss verarbeitet werden. Wenn jemand stirbt, verlässt sein Umbraurore den Körper und sucht sich etwas neues, wo die Lebenskraft wirken kann. Wenn nun aber so viel Lumenium für Dämonen draufgeht und nicht für neue Menschen- oder Tierkörper, muss sich das Umbraurore etwas anderes suchen. Das hat zur Folge, dass es solche Wetterschwankungen gibt, es in manchen Gebieten immer kälter, oder heißer wird, dass einige Leute viel zu viel Umbraurore haben und deswegen zum Beispiel enorm temperamentvoll oder gar verrückt sind oder enorm starke Elementar-Zauber wirken können, die im Krieg verheerende Auswirkungen haben. Das alles reicht aber immer noch nicht aus, um die ganze Lebenskraft zu verwenden und es gibt einen mächtigen Überschuss. Es kann nicht alles gebraucht werden und deswegen bilden sich aus dem Umbraurore ebenfalls Dämonen. Sie sind aber leichter aus der Welt zu schaffen, da man ihr Umbraurore verwenden kann. Lumenium-Dämonen erscheinen einem mehr tagsüber, weil sie nicht so stark sind, aber viel mehr Verteidigungskraft haben als Umbraurore-Dämonen, denen man eher nachts begegnet. Sie nutzen die Dunkelheit aus, um mit ihrem enorm starken Angriff, bei geringer Verteidigungskraft, gegen ihre Opfer zu kämpfen, denn nachts sehen die meisten Menschen und Tiere nicht so viel, wie du weißt. Solange nicht jemand einen Lumenium-Strukturumwandler oder etwas Ähnliches erfindet, wird die Situation der Welt sich nicht bessern… Du willst sicher wissen, warum diese Monster so aggressiv sind, nicht wahr, Püppchen? Naja, darauf gibt es noch keine Antwort im Forscherbereich, soweit ich das weiß. Einige sagen, die Kräfte selber wären so erzürnt, andere meinen, dass es eine logische Erklärung gibt, nämlich, dass die Kräfte zu viel arbeiten. Also, das Lumenium versucht sich so schnell, wie möglich, eine andere Struktur anzueignen, auch als Dämon noch, obwohl es ja aber nicht mehr geht und das soll angeblich das Wesen so hibbelig machen, dass es angreift. Umbraurore-Dämonen auch, nur dass diese verzweifelt nach einer Verwendung und einem Zweck suchen und deshalb so hibbelig und angriffslustig sind. Frag mich bitte nicht, ob diese Theorien stimmen, oder was ich dazu denke, Süße. Ich habe nämlich wirklich nicht den blassesten Schimmer, was Dämonen angeht. Ich weiß nur, dass sie da sind und dass sie gefährlich sind.“ Glaczio beendete seinen Vortrag und wieder war Cheyenne klüger geworden. Sie fand es interessant so viel über die Welt zu erfahren, aber gleichzeitig war die Situation in der sich Terrenox Libertia befand erschreckend. Hoffentlich erfindet bald mal jemand dieses Lumenium-Strukturwandlungsdingsi von dem er geredet hat.
Es war schon gegen Mittag und Cheyenne hatte ihrem Helfer nun genug erzählt. Sie hatte auch viel von ihm gelernt und bedankte sich bei ihm. „Glaczio, es war sehr schön deine Bekanntschaft zu machen, du hast mir sehr geholfen, vielen, vielen Dank. Danke, dass du mich und meine Gefährten hier geheilt hast und Danke ebenfalls, dass du mir so viel über die Welt erzählt hast. Ich danke dir auch, dass du nach meiner Geschichte gefragt hast, denn sie zu erzählen hat mir doch sehr geholfen und ich fühle mich jetzt besser, auch wenn ich einige Sachen noch immer nicht ganz verstehe, zum Beispiel warum ich gejagt werde. Aber auch wenn ich glaube, dass du vielleicht mehr über mich wissen könntest, als ich selber, bin ich der Meinung, dass ich es sicher auch selber herausfinden kann, weil du mir das eh alles nicht verraten wirst, so hab ich dich zumindest kennengelernt. Ich danke dir wirklich sehr, aber ich muss jetzt auf schnellstem Wege nach Saraley. Ich muss unbedingt Xaver dort treffen und wissen, ob es ihm gut geht. Ich kenn zwar den Weg nicht, aber ich werde es schon irgendwie finden, ich muss nur genug daran glauben… Danke für alles und leb wohl. Ich hoffe du hast ein schönes, langes und glückliches Leben. Das meine ich ernst, hihi.“
Cheyenne stand auf und ging zu ihrem Pferd. Um es vor dem Aufbruch etwas zu stärken, gab sie ihm die zwei am Vortag versprochenen Äpfel und packte die Schriftrolle, die sie in der Hand gehalten hatte, zurück in die Satteltasche. Adocaz war auch aufgestanden und lief schon etwas unruhig auf der Straße herum. Glaczio erhob sich ebenfalls und schien etwas überrascht zu sein. „Du willst schon gehen, Schätzchen?“ Er kam zu ihr und sah sie fragend an. Aber Cheyenne hatte nur noch ihren Freund im Kopf und sie musste wirklich los. Sie wollte sich zwar eigentlich noch ein wenig ausruhen, hatte aber sowieso kein Geld für eine Unterkunft und schlafen würde sie auch nicht können, bei all den aufregenden Dingen, die sie soeben erfahren hatte. Ihren Hunger ignorierte sie, das Einzige, was zählte, war, so schnell, wie möglich nach Saraley zu kommen. Adocaz könnte sich auf dem Weg ein paar Vögel zum Fressen fangen und Falconheart würde sich auch mit saftigem Gras zufriedengeben. Um die Beiden musste sich Cheyenne also nicht sorgen. Aber Glaczio ließ sich nicht so leicht abwimmeln und fühlte sich irgendwie für Cheyenne verantwortlich. „Hey, Engelchen, ich muss zufällig auch nach Saraley und könnte dich begleiten. Ich kenne sogar den Weg, du müsstest also nicht irgendwo herumirren. Außerdem… wenn die Ritter dich einholen, hättest du ein Problem, du siehst nicht wirklich so aus, als könntest du gut kämpfen. Außerdem würde ich mich selber gern bei diesem berüchtigten Xaver bedanken, dass er meinem hübschen Engel hier das Leben gerettet hat. Also, was sagst du, Püppchen?“ Cheyenne hatte sich eigentlich gefreut diesen anstrengenden Typen endlich los zu sein, aber er hatte, in Allem, was er sagte, absolut Recht und es wäre besser für sie, wenn er mit ihr käme. Sie mochte ihn ja ein wenig, er war kein Fremder mehr und sie hatten auch noch das gleiche Ziel. Also nahm sie wieder sein Angebot an, ob Xaver es allerdings begrüßte diesen Mann kennenzulernen war ungewiss. „Also schön, es wäre sicher besser, wenn wir gemeinsam den Weg dorthin bestreiten. Danke für deine Hilfe.“
Glaczio schien sich zu freuen und ging die Straße entlang zu einem alten blass-braunen Pony, das an einem Pfosten angebunden war. Er band es los und kletterte unbeholfen in den Sattel des kleinen Pferdes. Ach du meine Güte, hihi, der kann ja überhaupt nicht reiten. Oh, jetzt wird’s fast schon peinlich. Da hab ich ja damals noch besser ausgesehen, als ich zum ersten Mal auf Falconheart geklettert bin, aber der ist ja riesengroß und Glaczios Pony ist … naja, klein eben, wie ein Pony nun mal ist. Wow, er hat es geschafft in den Sattel zu kommen. Ob er es überhaupt zum Laufen bringen kann? Naja, irgendwie wird das schon gehen. Aber… warum will er unbedingt bei mir bleiben? Er hatte zwar ganz gute Argumente mich zu begleiten, aber wieso kommen mir die nur als Ausrede vor? Nun, ich werde es sicher noch herausfinden. Cheyenne schwang sich ebenfalls auf ihr Pferd und ritt dann zu ihrem Wegbegleiter. Irgendwie schaffte er es, auch wenn es unbeholfen und seltsam aussah, sein Pony zum Laufen zu animieren und die Reise nach Saraley konnte losgehen. Adocaz trabte vor Falconheart her, während Cheyenne und Glaczio nebeneinander aus dem Dorf ritten.