Kapitel 4
geschrieben von Darknezz
Notiz:
Der Inhalt dieses Kapitels wurde vor 10 Jahren verfasst und seither nicht verändert. Der Schreibstil könnte sich im weiteren Verlauf der Geschichte verändern.
Cheyennes Gedanken sind kursiv.
Verhängnisvolle Entscheidung
Neue, grausame Welt
Fuß des Klissave-Gebirges, Norden Luminastrelles
Adocaz trabte gemächlich vor Falconheart und dem braunen Pony her. Der Weg führte sie langsam aus dem dichten Wald von Luminastrelle hinaus und wurde von Zeit zu Zeit steiler. Er schien sie in höhere Gefilde zu leiten.
Cheyenne wusste nicht, wo Glaczio und sie gerade waren, oder was vor ihnen lag. Erst vor ein paar Minuten hatten sie das Dorf Mediasilva verlassen und dann diese Richtung eingeschlagen. Ihr Wegbegleiter tat sein Bestes, um sein Pony zu lenken und es im Schritt zu halten. Dem Mädchen ging dies zwar alles zu langsam, aber sie befürchtete, dass wenn sie in eine schnellere Gangart wechselten, ihre Bekanntschaft im Handumdrehen auf dem Boden landen würde. Sie hatte noch nie jemanden so schlecht reiten gesehen. Warum hat er denn eigentlich ein Pferd, wenn er nicht reiten kann? Da wär er doch tausend mal schneller, wenn er zu Fuß gehen würde… Sie beschloss, ihn darauf anzusprechen. „Glaczio, warum hast du ein Pferd? Ich will ja echt nicht unhöflich sein oder so, aber… Ich hab noch nie einen so schlechten Reiter gesehen und im Umgang mit deinem Pony bist du auch echt unbegabt. Tut mir leid, aber ehrlich. Du gibst ihm Signale, die sich widersprechen und achtest gar nicht darauf, was es dir sagen will.“ Glaczio grinste und betrachtete den kleinen Kopf seines Reittiers. Er gab Cheyenne Recht. „Engel, erzähl mir was Neues, was ich noch nicht weiß. Mir tut das Kleine hier ja selber leid. Aber ich hab nie den Umgang mit diesen Tierchen gelernt und ich hab es mir eigentlich nur angeschafft, damit ich nicht ständig zu Fuß laufen muss. Es hat ja nicht mal einen Namen. War ein Schnäppchen und eigentlich kann man sogar sagen, dass ich es vor dem Schlachter gerettet hab. Der Verkäufer sagte, es sei schon so alt und tauge nichts mehr. Da wollte er es zu Wurst verarbeiten lassen. Deswegen hat er es mir zu einem Spottpreis verkauft, hat gemeint, es lebe eh nur mehr ein paar Jahre. Ich hab ihm dann mein ganzes restliches Geld dafür gegeben und naja… Schneller bin ich zwar mit dem Kleinen hier auch nicht unterwegs, aber zumindest muss ich nicht mehr jeden Tag zu Fuß laufen. Ich hab das Pony jetzt seit ungefähr zwei Wochen.“ Cheyenne richtete ihren Blick wieder nach vorne und seufzte. Sie wusste manchmal wirklich nicht, was sie von Glaczio halten sollte. Auf der einen Seite hatte er das namenlose Pony gerettet, auf der anderen, hat er dies ja nur aus Selbstgefälligkeit getan. Der junge Mann betrachtete ihr Pferd. „Du und dein Falconheart hier, ihr scheint hingegen sehr gut miteinander klar zu kommen. Ich wusste nicht, dass man in der Unterstadt solch große Tiere halten kann. Wie lange hast du ihn denn schon?“ Cheyenne dachte kurz nach, ehe sie ihm eine Antwort gab. „Hm, ich glaube, seit drei Jahren. Als Xaver und ich die Pferde befreit haben, war ich vierzehn und er fünfzehn, also ja, ich hab Falconheart seit drei Jahren. In der Unterstadt ist es schon ungewöhnlich solche großen Tiere zu haben, aber neben meinem Haus ist eine Scheune, wo ich ihn unterstellen konnte und Xaver hat ein leerstehendes Gebäude neben seinem Zuhause umfunktioniert, zu einer Art Stall, damit Shiva dort…“ „Hey, hey, hey, Moment, warte mal kurz... Du bist siebzehn? Also drei Jahre jünger, als ich… Hm…“ Glaczio hatte Cheyenne unterbrochen und sein Pony angehalten. Nun wandte er den Kopf ab und schien über etwas nachzudenken. Das Mädchen stoppte Falconheart ebenfalls und ihr kam das komisch vor. Da war es schon wieder. Dieses Gefühl, dass er mehr wusste. Sie sprach ihn darauf an. „Ähm, ja ich bin siebzehn. Und wenn du zwanzig Jahre alt bist, dann bin ich drei Jahre jünger, als du. Aber was ist denn daran so besonders?“ Mit vorwurfsvollem und fragendem Blick wartete sie auf die Antwort ihres Wegbegleiters. „Ach nichts, nichts. Mir ist nur gerade wieder aufgefallen, wie alt ich doch schon bin und wie jung mein wunderschönes Engelchen hier noch ist.“ Cheyenne bereute es jetzt schon, dass sie mit ihm auf Reisen war. Sie verdrehte die Augen. Denkt der wirklich, ich bin so dumm? Als würd ich nicht mitbekommen, dass er mir etwas verheimlicht. Diese Ausrede war eben so was von durchschaubar und mies. Aber wenn ich ihm weiterhin Geheimnisse unterstelle bekomm ich nur mehr solche billigen Ausreden zurück… Cheyenne beschloss sein Spielchen mitzuspielen und ihm dabei eins auszuwischen. „Okay, aber wenn du schon so alt bist und dich schon so alt fühlst, dann solltest du dich auch so verhalten und mich nicht ständig wie ein Teenager anflirten und mir diese bescheuerten Kosenamen geben. Das gehört sich nicht für so einen alten Mann.“
Sie ritt wieder los und sah grinsend zurück. Der Anblick, der sich ihr erbot war anbetungswürdig. Das Mädchen hatte es doch tatsächlich geschafft, Glaczio für einen kurzen Moment zum Schweigen zu bringen. Er saß auf seinem Pony und war fassungslos, verblüfft und zum ersten Mal, seit sich die beiden getroffen hatten schien er sprachlos zu sein. Dann legte er den Kopf schief, zog eine Augenbraue etwas nach oben und lächelte verschmitzt. „Hey, Püppchen, jetzt hast du’s mir so richtig gegeben. Autsch! Mann, das hat wirklich gesessen. Hehe. Aber wenn du eine gute Erziehung genossen hättest, wüsstest du auch, dass man vor dem Alter Respekt haben muss und sich nicht über ältere Leute lustig macht. Schach Matt, Baby.“ Cheyenne musste kichern. Ihr Wegbegleiter hatte wohl für jede Situation einen Spruch parat.
Mit aller Mühe schaffte er es, das Pony wieder zum Laufen zu bringen und sie ritten weiter. Der Wald lichtete sich nun und das Mädchen bewunderte die schöne Aussicht; Zu ihrer Linken war ein tiefer felsiger Abgrund, man konnte einen Teil von Luminastrelle überblicken und bis zum Meer sehen. Zu ihrer Rechten waren noch einige Bäume und Sträucher, dahinter erhob sich ein großes, weites und hohes felsiges Gebirge. Vor ihr neigte sich der nun steinerne Weg stetig nach oben. Glaczio bemerkte ihre Begeisterung und erklärte ihr, wo sie sich befanden. „Ich habe mir schon gedacht, dass es dir hier gefallen wird. Als ich das hier zum ersten Mal sah, sind mir fast die Augen herausgefallen. Damals hatte ich noch nichts von der Welt gesehen und dann direkt so etwas Umwerfendes. Es gäbe zwar noch einen anderen Weg nach Saraley, durch den Wald, aber der ist nicht halb so schön und die Reisezeit wäre ungefähr gleich lang. Wir sind hier übrigens am Fuß des Klissave-Gebirges. Früher gab es dort oben ein Dorf, aber es wurde zerstört. Vor einigen Jahren ist es unter Steinbrocken begraben worden, die sich wegen der Lumenium-Knappheit gelöst hatten. Seitdem ist es auch verboten weiter nach oben und tiefer in das Gebirge zu gehen.“
Cheyenne wusste zwar, dass der Mangel an Lumenium nichts Gutes hieß, aber dass es bereits so schlimm war, dass ganze Dörfer ausgelöscht wurden, war beängstigend. Aber sie konnte nichts dagegen machen und verjagte die trüben Gedanken. Das Mädchen ließ ihren Blick in die Ferne schweifen.
Das hellblaue Meer spiegelte die Chromasterne und die Quelle des Lebens wider. Ihre Augen wanderten von dem Wasser hinauf zum Himmel und sie starrte nun direkt das schöne nachtschwarze Gebilde an. Cheyenne dachte nach und kam zu dem Schluss, dass es aus Umbraurore bestehen musste. Es wurde zumindest von einem schwarzen Nebel umgeben und das Innere bewegte sie wie Wasser, das durch eine Welle aufgeschreckt wurde. Glaczio folgte ihrem Blick und bestätigte dann ihre Überlegung. „Ah, du betrachtest das Noxastrum Vitae, hm? Wunderschön, nicht wahr, Engel? Fast so bezaubernd, wie du. Der Name ‚Noxastrum Vitae‘ ist in der Yin-Yang Sprache und bedeutet übrigens gar nicht Quelle des Lebens. Diesen Namen haben die Menschen nur eingeführt, weil sie ihn passender fanden. Die korrekte Übersetzung wäre nämlich ‚Nachtstern des Lebens‘, was meiner Meinung nach eigentlich schöner klingt, als ‚Quelle des Lebens‘. Du hast bestimmt nie zuvor gewusst, woraus es besteht, aber seit dir der kluge, liebreizende Glaczio etwas über die Lebenskraft Umbraurore erzählt hat, kannst du es garantiert erraten. Aber, mein hübscher Engel, das ist noch nicht alles. Noxastrum Vitae besteht nicht nur aus Umbraurore, es ist sogar der Ursprung dieser Kraft. Dort wird neues Umbraurore produziert und altes verarbeitet. Wenn ein Körper stirbt, treten alle Lebenskraft und die Seele aus ihm heraus, zerstäuben sich in mikroskopisch kleine Teilchen, welche mit dem bloßen Auge nicht mehr zu sehen sind und steigen zum Nachtstern des Lebens auf. Dort wird das Umbraurore regeneriert und verarbeitet, zerteilt sich wieder und kehrt auf die Erde zurück. Der Kreislauf des Lebens ist faszinierend, nicht wahr, Süße?“ Cheyenne nickte. Ich frage mich wie die Welt entstanden ist. Es ist schwer vorstellbar, dass einfach alles da war oder dass die Natur selbst so klug ist, dass sie diese Kreisläufe erfunden hat, ohne die es kein Leben gäbe. Aber vor der Apokalypse war die Welt auch noch ganz anders. Ich würde so gern wissen, was damals passiert ist… Ob ich es jemals erfahren werde?
Glaczio ritt weiter, um zu Adocaz aufzuschließen, der bereits ziemlich weit vorne auf dem Weg trabte. Das Mädchen betrachtete jedoch weiterhin die Quelle des Lebens und war in Gedanken versunken. Plötzlich spürte sie einen starken Griff an ihrem rechten Fuß und kurz darauf auch am rechten Unterarm. Bevor sie auch nur den Blick in diese Richtung wenden konnte oder realisierte, was vor sich ging, wurde sich von ihrem großen Pferd gerissen und landete mit dem Rücken auf dem harten Steinboden. Der Aufprall war enorm schmerzhaft und sie bekam für kurze Zeit keine Luft mehr. Vor Schmerz kniff Cheyenne die Augen zusammen und hörte nur das erschreckte Wiehern von Falconheart und Adocaz‘ Bellen in der Ferne. Wieder wurde sie gepackt und nach oben gezogen, bis das Mädchen auf den Füßen stand. Sie hustete und schnappte nach Luft. Dann öffnete sie die Augen und sah zwei Männer in metallener Rüstung, ein dritter, kräftigerer stand hinter ihr und hielt sie fest. Er zerrte sie zu einem Baum, presste sie fest dagegen und hielt ihr ein Messer an den Hals. Die anderen beiden lachten und freuten sich. „Endlich haben wir dich gefunden, hahaha, kleines Miststück! Wegen dir mussten wir die ganze Nacht auf diesen vermaledeiten Pferden sitzen und nun spüren wir jeden einzelnen verflixten Knochen! Aber wenigstens haben wir dich nun endlich und werden garantiert befördert, haha. Der Kommandant wird sich sicher freuen!“ Die Ritter vom Forschungslabor!
Cheyenne atmete ruckartig und stöhnte unter Schmerzen auf. Sie bekam Angst und sah schon gedanklich ihr Leben im Schnelldurchlauf an sich vorbeiziehen. Sie konnte sich nicht einmal bewegen, um auch nur ansatzweise versuchen sich zu wehren. Der Ritter, der sie festhielt, drückte sie so stark gegen den Baum, dass sie das Gefühl hatte, er würde ihr jeden einzelnen Knochen brechen. Als wäre das nicht schon schlimm genug, ergötzte sich der Ritter am Anblick ihres schmerzverzerrten Gesichts auch noch. Plötzlich wurde einer der hinteren beiden Männer in Rüstung umgeworfen. Adocaz war gegen seinen Rücken gesprungen und knurrte ihn bedrohlich an. Der andere Ritter wich erschrocken einen Schritt zurück und starrte seinen von dem Feenwolf bedrohten Kollegen an. „Was zum…“ Mehr konnte er nicht mehr sagen, denn auch er fiel zu Boden. Hinter ihm stand Glaczio mit einem großen, schönen Schwert, das aussah, als wäre es aus Eis. Er hatte dem Ritter damit den Rücken aufgeschlitzt, obwohl dieser eine Metallrüstung trug. Der Schnitt war offenbar sehr tief, denn der Feind lag regungslos am Boden, Blut quoll aus seinem Mund hervor und trat aus seiner Wunde am Rücken aus. Die Augen waren weit geöffnet und leer. Der zweite Ritter daneben hatte Adocaz weggeschleudert, sein Schwert gezogen und lief auf Cheyennes Wegbegleiter zu. Er hob sein Schwert und griff mit all seiner Kraft Glaczio an, dessen gesenktes Schwert auf den Boden zeigte. Er schien noch nicht einmal mitzubekommen, dass der Ritter gleich auf ihn losgehen würde, denn er stand den Rücken seinem Feind zugewandt da und sah die Leiche an. Nein! Er wird Glaczio gleich töten! Dreh dich doch um! Cheyenne wollte ihn warnen, brachte aber keinen Ton heraus. Zu groß waren die Schmerzen und zu stark und einengend der Griff ihres Gegenübers. Sie würde nur noch verzweifelt zusehen können, wie der Ritter den jungen Mann tötet und sie würde dann die Nächste sein.
Das Schwert des Angreifers ging nieder und würde gleich direkt Glaczios Kopf treffen, die Vorstellung, wie sein Kopf entzwei gespalten wurde war grausam, aber real und es würde jeden Moment so weit sein. Cheyenne schluchzte und fühlte Tränen, die über ihre Wange kullerten. Es tut mir leid, dass ich dich da hinein gezogen hab, Glaczio… Ich hätte nicht zulassen dürfen, dass mich jemand begleitet… Nun muss er wegen mir sterben! Und ich werde Xaver nie wieder sehen… Er wird vergeblich auf mich warten und sie werden ihn auch finden und töten… Nein...
Als das Mädchen schon alle Hoffnung aufgegeben hatte, wandte sich der junge Mann blitzschnell um und blockte den Angriff mit seinem Schwert in letzter Sekunde ab. Seine eisblauen Haare erhoben sich bei der Drehung in die Luft, ehe sie wieder ruhig herabhingen. Er nutzte den Überraschungsmoment, der entstand und stach dem verblüfften Ritter sein Eisschwert ins Herz. Auch diesmal brachte die Rüstung dem Ritter keinen Schutz und er sank nach Luft schnappend, glucksend und sterbend zu Boden, nachdem Glaczio das Schwert aus der Brust des Feindes gezogen hatte. Der letzte Mann in Metall schaute nach hinten, neugierig von den Geräuschen des Kampfes. Er sah, dass seine Kollegen nicht mehr lebten und dass ihr Mörder langsam einige Schritte auf ihn zukam, das Schwert herausfordernd auf ihn gerichtet. Cheyennes Wegbegleiter sah in diesem Moment richtig angsteinflößend und gefährlich aus und sie war froh, dass er auf ihrer Seite war und sie retten wollte. Adocaz hatte sich wieder aufgerafft und kam an die Seite des Heilers, bedrohlich knurrend und Zähne fletschend. Als der Ritter aber keine Anstalten machte, Cheyenne loszulassen, sprach Glaczio eine Warnung aus. „Lasst dieses Mädchen augenblicklich los…“ Der Feind fing an zu schwitzen und riss Cheyenne nach vorne, um sie dann mit einer gewaltigen Kraft wieder nach hinten zu schubsen. Sie schrie vor Schmerz auf, als sie gegen den Baum prallte und sank daraufhin zitternd zu Boden. Dann kam der Ritter auf den jungen Mann zu griff ihn an. Der Mann in Rüstung gab sein Bestes und legte all seine Kraft in den Angriff, aber Glaczio wich immerzu elegant aus oder blockte ab. Es sah fast so aus, als würde er tanzen und nur mit dem Ritter spielen, anstatt ernsthaft zu kämpfen. Für ihn schien es ein Kinderspiel zu sein, seinen Feind auszutricksen und vielleicht wollte er den trägen Mann nur müde machen. Offenbar war genau das sein Plan, denn als der junge Heiler merkte, dass der Angriff seines Gegenübers nachließ und dessen Aufmerksamkeit ebenfalls, stellte Glaczio ihm ein Bein und der Ritter fiel darüber, stürzte zu Boden. Ehe sich dieser versah, zeigte Cheyennes Wegbegleiter mit der Eisklinge auf den Hals des Feindes und flüsterte ein paar Worte. „Am liebsten würde ich Euch leiden sehen und Euch den Hals aufschlitzen. Zusehen, wie Ihr keine Luft mehr bekommt und elendig erstickt. Genauso, wie ihr immer euren Opfern beim Leiden zuseht und über sie lacht. Aber ich stelle mich nicht mit euch auf dieselbe Stufe, Ihr habt Glück. Ich schenke Euch einen schnellen Tod.“ Glaczio schloss kurz die Augen, öffnete sie wieder, hob den Kopf etwas an und rammte sein Schwert in die Brust des Ritters.
Während er es wieder herauszog und auf Cheyenne zukam, war Adocaz schon bei ihr und leckte ihr übers Gesicht. Ihr Retter erkundigte sich mit wieder gelassener und ruhiger Stimme, wie es ihr ging. „Alles in Ordnung, Engelchen?“
Das Mädchen wusste gar nicht, was sie sagen sollte. Sie hatte zwar Schmerzen, aber die waren für sie in diesem Moment nur noch Nebensache. Einige Meter vor ihr, lagen drei tote Ritter, bezwungen von ihrem Wegbegleiter, der noch dazu Heiler war. Sollte er nicht eigentlich Leben retten, anstatt es zu nehmen? Aber andererseits hatte er ja ihr Leben vor dem sicheren Tod bewahrt. Cheyenne war durcheinander und am Ende ihrer Kräfte. Schon wieder hatte jemand für sie sein Leben riskiert. Zitternd saß sie an den Baum gelehnt da und schubste Adocaz leicht von sich weg. Der winselte verständnislos und legte sich traurig neben sie auf den Boden. Als das Mädchen dies bemerkte, wandte sie den Blick von den Leichen ab und streckte die Hand nach dem Feenwolf aus. Freudig tapste er wieder zu ihr und setzte sich beschützend neben sie.
Cheyenne konnte sich fast nicht bewegen und musste immer noch ruckartig atmen. Mittlerweile hatte Glaczio sein bluttriefendes Eisschwert ins Gras gelegt und war nähergekommen. Er schien sich Sorgen zu machen. „Engel, alles in Ordnung? Alles ist gut, diese Leute können dir nichts mehr anhaben. Sie werden dich nie wieder verletzten… Hast du Schmerzen?“ Er nahm den Kopf des Mädchens mit seinen kalten Händen und hob ihn an, sodass er in ihre tiefroten Augen sehen konnte. Diese waren jedoch klar und der Heiler wusste somit, dass Cheyenne voll bei Bewusstsein und nur leicht geschockt war. Bevor er ihren Kopf jedoch wieder losließ, betrachtete er die Augen jedoch genauer und wieder wurde sein Blick nachdenklich. Das Mädchen entzog sich seinen Händen und versuchte ruhig zu atmen. „Ob ich Schmerzen hab? Mir tut alles weh, ich hab geglaubt der Typ bricht mir jeden einzelnen Knochen…“ Glaczio grinste und schloss die Augen, dann erschien ein magischer Zirkel auf dem Boden zu seinen Füßen und er wandte wieder seinen Heilzauber an. Zum zweiten Mal an diesem Tag strömte ein enormes Kältegefühl durch den Körper des Mädchens, das kurz mehr schmerzte als die eigentlichen Beschwerden. Dann jedoch wurden ihre Leiden gelindert und sie konnte aufstehen. Der Heiler und Adocaz erhoben sich ebenfalls und Cheyenne bedankte sich. „Danke… schon wieder… Langsam steh ich richtig tief in deiner Schuld, hm? Warum hast du mir geholfen und gegen diese Ritter gekämpft? Sie hätten dich töten können…“ Glaczio hob sein Schwert auf und streifte das Blut, das daran klebte, im Gras, welches neben dem Baum wuchs, ab, ehe er ihr eine Antwort gab. „Du weißt doch, dass ich gerne der Retter in Not für hübsche Ladys bin. Aber diese Antwort reicht dir ja wieder nicht, also werd ich es mal so ausdrücken. Ich wusste, dass wenn die Ritter die ganze Nacht kein Auge zugetan haben, sie ziemlich müde sein mussten. Ich hab mich also nicht für dich in Lebensgefahr gebracht. Die hätten doch nicht einmal mehr die Kraft gehabt, einen starken Schwerthieb abzublocken. Zudem kann ich um einiges besser mit meinem Schwert umgehen, als die. Immerhin waren das Ritter untersten Rangs, die bekommen gerade mal die Grundausbildung. Außerdem kann ich doch nicht tatenlos zusehen, wie diese bösen Menschen meinem Engel hier was antun, oder?“ Er grinste und wandte sich um. „Also, Püppchen, da du ja jetzt wieder auf den Beinen bist, würd ich vorschlagen, wir verschwinden hier so schnell, wie möglich, bevor mehr von denen kommen, oder jemand sieht, dass die hier tot am Boden herumliegen und wir in der Nähe sind. Das wäre nicht unbedingt vorteilhaft.“ Glaczio ging zu dem Pony und nahm die am Sattel festgemachte Schwertscheide für sein Eisschwert ab, steckte die Klinge hinein und befestigte sie an seinem Gürtel. Er wollte vermutlich von nun an sein Schwert immer bei sich tragen und auf alles vorbereitet sein. So, wie Cheyenne ihren Bogen, durch ihren Waffengürtel, ständig bei sich hatte.
Das Mädchen wusste, dass ihr Wegbegleiter Recht hatte, sie mussten so schnell wie möglich hier weg. Aber die Sache hatte sich für sie noch nicht erledigt. Doch erst mal hatte es oberste Priorität aus der Sichtweite der Leichen zu gelangen. Sie hoffte auch, dass es die einzigen Ritter waren, die sie verfolgten. Aber wenn dieser Kommandant Atropax mich wirklich haben oder gar töten will, wird er garantiert mehr Ritter hinter mir her schicken. Es ist sicher noch nicht vorbei… Aber, wenn das der Fall sein sollte, bringe ich Glaczio mit jeder Sekunde mehr in Gefahr und ich ziehe ihn in diese ganze Sache hinein, obwohl er das vielleicht gar nicht will. Er kann zwar gut kämpfen, das muss man ihm lassen, aber wenn dann mehr Ritter da sind, bei vollen Kräften… dann wird er sie ganz bestimmt nicht alle besiegen können. Auch wenn er so ein nerviges Großmaul ist, hat er es trotzdem nicht verdient, wegen mir zu sterben. Es darf einfach niemand mehr wegen mir sterben… Ich will nicht noch einmal so etwas erleben, wie bei Großmutter und Großvater…
Cheyenne hatte so wenig Kraft, dass sie fast nicht in den Sattel kam. Unter größter Anstrengung konnte sie, mit viel Mühe, gerade so auf Falconhearts Rücken klettern. Glaczio hatte es schließlich auch nach ein paar Minuten bewerkstelligt, auf sein Pony zu kommen und nun ritten sie weiter den steinernen Weg entlang. Adocaz trabte wieder voraus. Weder das Mädchen noch der Heiler fingen ein Gespräch an. Cheyenne war mittlerweile zu erschöpft, um zu reden. Sie hatte seit gestern Nachmittag nicht geschlafen und seit gestern Morgen nichts mehr gegessen oder getrunken. Sie lehnte sich auf den Hals ihres Pferdes und starrte auf den vorbeiziehenden Boden.
Der Weg wurde an manchen Stellen so steil, dass die Pferde richtig klettern mussten. Falconheart tat sich hier durch seine Größe leichter, als das braune Pony. Bei einer dieser steilen Stellen, hatte das Kleine einen sprungartigen Satz gemacht und Glaczio wäre beinahe heruntergefallen.
Der Tag neigte sich langsam dem Ende zu, die Quelle des Lebens verschwand am Horizont und das Leuchten der Chromasterne wurde schwächer. Die bunten Wolken am Himmel wurden ebenfalls zunehmend dunkler. Glaczio entdeckte rechts des Wegrandes einen grasbewachsenen Vorsprung, rosa Bergblumen wuchsen dort und sogar ein kleiner Bach floss zwischen einigen Felsen durch und sein Quellwasser stürzte am Ende des schönen Platzes in die Tiefe des Abgrundes. Das Plätschern war das einzige Geräusch, das man hören konnte. Auch ein paar Bäume ragten dort in die Höhe und einige große Äste lagen auf dem Boden herum.
Der Heiler lenkte sein Pony zu der Stelle und Cheyenne ließ Falconheart ebenfalls darauf zulaufen. Adocaz war der Erste, der dort ankam und blickte direkt den tiefen Abgrund hinab.
Der junge Mann sprang von seinem Pony und band es an einen Baum fest, das Mädchen tat es ihm gleich. Beide Pferde fingen an zu grasen und während Glaczio ein paar Äste und Zweige zusammensuchte, um ein Feuer zu machen, blieb Cheyenne bei ihrem großen Vierbeiner und kraulte ihn am Hals. Falconheart kaute zufrieden und schnaubte. Ach, was würd ich nur ohne dich machen, Falconheart… Danke, dass du mich den ganzen Weg bis hierher getragen hast. Jetzt ruh dich erst mal schön aus, du hast es dir wirklich verdient. Du bist echt das beste Pferd auf der ganzen Welt. Ich hab dich so lieb. Danke, dass es dich gibt. Cheyenne gab ihm ein Küsschen auf den Hals, ging dann zu ihrem Wegbegleiter und setzte sich auf einen der umgefallenen Baumstämme in dessen Mitte ein kleines, orange-gelbes Feuer die anbrechende Dunkelheit erleuchtete. Adocaz hatte sich daneben zusammengerollt und schien schon vor Erschöpfung zu schlafen. Glaczio konnte sich den Kommentar nicht verkneifen. „Hey, Engelchen, ich will auch ein Küsschen von dir. Oh, und gekrault werden will ich auch. Hehe.“ Er grinste und schien sich sehr über Cheyennes Augenverdrehen zu amüsieren. Da sie offenbar nicht mit ihm reden wollte, sprach er weiter. „Da vorne ist ein Bach mit Quellwasser, davon kannst du ohne Bedenken trinken, ich kann mir vorstellen, dass du extrem durstig bist. Zu Essen hab ich zwar nichts dabei, aber die Beeren an dem Strauch da hinten sind köstlich, Süße.“ Das Mädchen war ihm sehr dankbar und merkte, dass er es diesmal wirklich gut mit ihr meinte. Er hatte sogar fast ganz auf die Kosenamen verzichtet. Sie war beinahe schon stolz auf ihn.
Müde tapste Cheyenne zu dem kleinen Bach und nahm eine Hand voll Wasser. Es schmeckte köstlich. Noch nie hatte sie so klares und gutes Wasser getrunken. In der Unterstadt war es fast ungenießbar gewesen und musste immer abgekocht werden, bevor man es trinken konnte. Denn die Leute im Elendsviertel hatten kein fließend Wasser aus dem Wasserhahn und mussten täglich welches aus dem Fluss holen. Cheyenne nahm ein paar weitere Hände voll kühlem Nass, bis sie ihren Durst gestillt hatte. Nun hatte sie gar nicht mehr so viel Hunger, aber beschloss trotzdem einige Beeren zu pflücken und zu essen.
Es waren mittlerweile nur mehr einige wenige Chromasterne am Himmel und schon in ein paar Minuten wäre es stockdunkel, nur das Feuer würde dann noch scheinen. Das Mädchen hatte ein paar der lila Beeren gepflückt und ging dann zu Glaczio, der nun an dem Abhang saß und seine Füße hinab hängen ließ. Sie setzte sich neben ihn und tat es ihm gleich. Dann bot sie ihm Beeren an, er nahm sich eine und bedankte sich. „Danke. Die schmecken gut, nicht wahr, Engelchen?“ Cheyenne nickte und beide aßen die leckeren Beeren. Als keine mehr da waren, beschloss sie, mit ihm über das, was passiert war zu reden und wie es morgen weitergehen würde. Das Mädchen hatte einen Entschluss gefasst und wollte dem Heiler sagen, was sie vorhatte. Sie holte bereits Luft und öffnete den Mund, aber er kam ihr zuvor und ergriff als Erster das Wort. „Stell dir mal vor, ich würde jetzt meinen Schuh verlieren und er würde den Abhang hinabstürzen. Ich denke, dann hätte ich ein Problem. Hehe. Du willst mit mir über etwas reden, hab ich Recht, Püppchen? Na dann, leg los, mein Engel.“ Er lehnte sich zurück und legte sich auf den Rücken, während ihn das Mädchen entgeistert anschaute. Ähm, ja, okay, was sollte denn jetzt die Aussage mit dem Schuh… Irgendwie musste Cheyenne grinsen, aber schnell wurde sie wieder ernst, ließ ihren Blick in die Ferne schweifen und überlegte, wie sie am besten anfangen sollte. „Ähm… ja… also, dein Schwert. Es sieht nicht gerade normal aus. Also, versteh mich nicht falsch, es ist sehr schön, aber eben einfach sehr… speziell. So etwas habe ich noch nie zuvor gesehen, oder… nein warte, doch. Dieser Ritter, Atropax, der hatte auch so ein Besonderes. Nur, dass seines mehr wie Wasser aussah und deines wie Eis. Wieso habt ihr fast die gleichen Schwerter? Und warum weißt du eigentlich so viel über die Ritter? Ich kann einfach nicht glauben, dass du dir dieses ganze Wissen in der Schulausbildung angeeignet hast.“ Das war jetzt zwar nicht ihr eigentliches Thema gewesen, aber es war ebenfalls interessant und Cheyenne wollte es wissen. Und es wäre gut zuerst über etwas anderes zu reden. Glaczio verschränkte die Arme hinter seinem Kopf, um gemütlicher zu liegen und schloss seelenruhig die Augen. „Süße, du unterstellst mir etwas mit den Rittern zu tun zu haben? Hehe, Schätzchen, da liegst du gewaltig falsch. Das Kommandantchen und ich, wir haben beide sogenannte Elementar-Schwerter. Die werden speziell für ihren Besitzer angefertigt und haben ein bestimmtes Element eingefasst. Das Element ist eine spezielle Umbraurore-Kugel, die, sobald man sie mit, in meinem Fall, Eis in Berührung bringt, das Element Eis annimmt und dann fasst man die Kugel in Schwertmetall. Das Schwert nimmt nach ungefähr vierundzwanzig Stunden diese spezielle Form an und wird zum Eis-Elementar-Schwert. Das läuft bei jedem Schwert gleich. Welches Element die Waffe bekommt, liegt übrigens ganz am Besitzer. Es wird vor dem Schmieden der Klinge ermittelt, welches Element am Besten zu dir passt und welches sich perfekt mit dir ergänzt. Es gibt sechs normale Elemente: Feuer, Wasser, Erde, Wind, Eis und Blitz. Das ist auch schon alles über mein Schwert. Wenn wir in Saraley ankommen, würd ich dir übrigens dringend empfehlen, dir ebenfalls eines zuzulegen. Obwohl die Dinger unglaublich teuer sind gibt es sicher einen Weg an eines dran zu kommen. Auch, wenn du es nicht glauben willst, ich habe wirklich alles, was ich über die Ritter weiß in meiner Ausbildung gelernt, Engelchen.“ Cheyenne tat es leid, dass er ihre Frage als Unterstellung aufgefasst hatte, das war nicht ihre Absicht gewesen. Aber sie schätzte, dass er das ohnehin wusste. Nun wollte sie endlich mit ihm über das reden, was sie am meisten beschäftigte und ihm ihren Entschluss mitteilen, aber sie zögerte. Glaczio fiel das natürlich sofort auf. „Da ist doch noch etwas anderes, dass du mir sagen willst, nicht wahr, Süße? Manchmal bist du echt leicht zu durchschauen. Du kannst mit dem guten, alten Glaczio doch über alles reden, das weißt du doch, oder, Engelchen?“ Das bezweifelte Cheyenne und sie würde auch niemals über alles mit ihm reden. Auf gar keinen Fall. Aber das hier musste ihm gesagt werden. Sie atmete tief durch und fing dann an zu sprechen. „Glaczio, hör mal… Ich… Ich habe…“ Sie seufzte. „Um es kurz zu machen: Ich habe so viele Leute in Gefahr gebracht, meine Großeltern sind sogar wegen mir getötet worden, wegen mir kann Xaver nicht mehr nach Hause und wird gejagt und du hast vorher dein Leben riskiert, um mir zu helfen. Auch wenn ich zurzeit gar nichts mehr verstehe, will ich einfach nicht mehr, dass ich jemanden in Gefahr bringe, oder dass jemand wegen mir sterben muss. Und das ist der Grund… deswegen… werd ich ab morgen alleine weiterreisen. Es tut mit Leid, dass ich dich in Schwierigkeiten gebracht hab. Deine Hilfe war wirklich unbezahlbar und ich stehe auf ewig in deiner Schuld. Sollten wir uns irgendwann mal wieder begegnen, versuche ich meine Schuld zu begleichen. Ich sollte jetzt versuchen etwas zu schlafen… Danke für alles, Glaczio.“ Das Mädchen stand auf und wartete auf eine Reaktion des Heilers, sie vermutete, dass er ihre Entscheidung nicht einfach so hinnehmen würde. Doch er öffnete nicht einmal die Augen. Also machte sich Cheyenne auf den Weg zurück zum Feuer. Gut, dann sagt er halt nichts darauf. Macht es mir einfacher zu gehen, wenn ihm alles egal ist. Aber ist es ihm wirklich so gleichgültig? Er meint ich sei leicht zu durchschauen, er ist es aber umso schwerer… Auch wenn ich eigentlich froh bin, diesen nervigen Typen mit seinen blöden Sprüchen und Kommentaren endlich los zu sein, hab ich mich doch schon ein bisschen an ihn gewöhnt. Sollte es bei ihm nicht auch so sein? Offenbar nicht, sonst wäre ihm das, was ich gesagt habe, nicht so egal…
Doch ihre Gedanken wurden von Glaczios Stimme unterbrochen. „Glaubst du, man löst Probleme, indem man vor ihnen wegläuft? Ich bewundere, wie rücksichtsvoll und gutmütig du bist, aber ich denke, es würde nicht gut für dich sein, wenn du in diesen Zeiten alleine umherirrst. Aber ich schätze, es ist deine Entscheidung, was du tust. Es war mir eine Ehre dich kennengelernt zu haben. Pass gut auf dich auf… Cheyenne, mein Engelchen.“ Ohne etwas darauf zu sagen, ging sie weiter zum Feuer und legte sich neben Adocaz auf den Grasboden. Seine Worte hatten sie nachdenklich und sogar ein wenig traurig gemacht, auch wenn das Mädchen nicht ganz verstand, warum. Immerhin war sie doch froh, ihn endlich los zu sein. Cheyenne kuschelte sich an Adocaz und schloss die Augen. Morgen trennen sich also unsere Wege wieder und Adocaz, Falconheart und ich sind erneut allein unterwegs. Ich hätte Glaczio noch nach dem Weg fragen sollen… Oh nein, wie dumm von mir, das zu vergessen… Naja, irgendwie werd ich Saraley schon finden. Sobald die ersten Chromasterne am Himmel erscheinen, sind wir weg von hier. Schlaf schön Adocaz…
Langsam wurde es hell und die kalte Nacht wich einem warmen Tag. Die Vögel zwitscherten fröhlich und verbreiteten die Nachricht, dass die ersten Chromasterne bereits am Himmel leuchteten. Das Mädchen wurde von dem lauten Gezwitscher geweckt und schaute sich um. Das Feuer war ausgegangen und Glaczio schlief noch, einige Meter von ihr entfernt. Ich konnte kaum schlafen… Diese Nacht hat mir nicht wirklich viel gebracht, ich bin immer noch müde und auch ein bisschen erschöpft. Zum Glück schläft er noch … Sie stand auf und tapste so leise, wie möglich zu Falconheart. Adocaz war schon wach gewesen und saß auf dem steinernen Weg, bereit zur Weiterreise. Cheyenne würde sich gar nicht von ihrer Bekanntschaft verabschieden, sondern einfach gehen. So wäre es leichter für alle Beteiligten und er könnte sie nicht aufhalten. Sie machte die Zügel des Pferdes vom Baum los und schwang sich in den Sattel. Ein letztes Mal betrachtete sie noch ihren ehemaligen Wegbegleiter, der ihr so geholfen hatte, bevor das Mädchen das Pferd zum Laufen brachte, im Schritt auf den Steinweg ritt und sich immer weiter von der Schlafstelle entfernte.
Ein paar Minuten war es nun schon her, seit sie losgeritten war, da hörte sie etwas hinter sich. Cheyenne befürchtete schon es wären wieder Ritter und sie sah nach hinten. Oh nein, nicht doch… Glaczio kam auf seinem Pony auf dem Steinweg angetrabt und versuchte sie einzuholen. Das Mädchen befürchtete schon, dass er jeden Moment herunterfallen würde, aber er hielt sich erstaunlich gut im Sattel des wild trabenden kleinen Pferdes. „Hey, Engelchen, ich hab’s mir doch anders überlegt! Ich will nicht, dass du alleine herumirrst, ich riskiere doch gern mein Leben für ein hübsches Mädchen, das weißt du ja. Eigentlich hatte ich nicht mal geglaubt, dass du das Ganze ernst meinst. Ich bin jedenfalls zu dem Schluss gekommen, dass ich mit deiner Entscheidung vielleicht doch nicht so ganz einverstanden bin und tadaa. Hier bin ich nun, wieder an der Seite meines hübschen Engels.“ Das gibt’s ja wohl nicht… Hat er doch mitbekommen, dass ich gegangen bin? Ich dachte er hat geschlafen… Und die Begründung, die er gerade abgeliefert hat, war auch wieder so eine miese Ausrede… Warum nur will er unbedingt bei mir bleiben, egal was kommt? Cheyenne wollte ihm genau in dem Moment diese Frage stellen, als plötzlich der Boden unter dem Gewicht der Pferde nachgab und abbröckelte. Falconheart stieg und rutschte mit den Hinterbeinen ab, stürzte den Abhang hinab. Es ist wie Glaczio es erzählt hat, genau wie mit diesem Dorf weiter oben im Klissave-Gebirge! Der Lumenium-Mangel bewirkt einen Einsturz des Bodens! Nein, Falconheart! Ah! Ehe sie sich versah, stürzte auch sie einen ungefähr zehn Meter tiefen Abhang hinab, genauso wie Adocaz, Glaczio und sein Pony. Cheyenne schloss die Augen und versuchte vergeblich sich irgendwo festzuhalten und ihr Gleichgewicht zu finden. Hier und da wurde ihr Körper von Felsen abgefangen und herabfallende Steine prallten gegen sie, bis sie schließlich schmerzhaft auf einem harten Erdboden, am Ende des Abhangs, aufkam. Für einen kurzen Moment bekam sie keine Luft und krümmte sich vor Schmerzen. Dann konnte sie wieder atmen, aber ihr ganzer Körper zitterte. Sie öffnete die Augen und sah viele Kratzwunden auf ihren Armen und Beinen. Sie mussten von dem Sturz gerade eben herrühren. Das Mädchen versuchte zu realisieren, was passiert war, das fiel ihr jedoch sehr schwer, denn alles ging so schnell. Ich… Ich lebe ja noch. Oh nein! Falconheart! Adocaz! Ihre Sorge um die Gefährten bewirkte, dass Cheyenne genug Kraft hatte, um humpelnd aufzustehen. Ihr Blick wanderte wild umher und sie suchte damit die Umgebung ab. Schließlich fand sie ihr Pferd, nahezu unverletzt, neben den herabgefallenen Felsen stehen. Es hatte lediglich ein paar Kratzer davongetragen, schien aber ansonsten in Ordnung zu sein und trottete nun auf Cheyenne zu. Auch Adocaz konnte sie entdecken. Er hatte es wohl irgendwie bewerkstelligt, auf einen Vorsprung zu gelangen, von dem aus er nun nach unten kletterte und ebenfalls zu dem Mädchen lief. „Zum Glück, ihr seid beide wohlauf und habt nur ein paar Kratzer…“ Cheyenne streichelte beide und dann erblickte sie Glaczio. Ihn hatte sie in der ganzen Aufregung und Verwirrung fast vergessen. Er kniete vor seinem Pony. Es lag regungslos auf dem Boden, bewegte sich keinen Zentimeter. Der Heiler stand auf und das Mädchen sah, warum das kleine Pferd sich nicht mehr rührte. Einer der abgebrochenen Felsen des Steinweges lag direkt auf dem Kopf des braunen Ponys. Darunter quoll Blut hervor und bahnte sich seinen Weg durch weitere kleine Steine zum Boden. Es war erschlagen worden, der gesamte Kopf zertrümmert.
Cheyenne wollte das tote Tier nicht mehr sehen und kniff die Augen zusammen, wandte den Kopf ab. Sie atmete schneller und ihr Herz machte kleine Aussetzer. Wenn sie nicht alleine losgeritten wäre, sondern gewartet hätte, bis Glaczio aufgewacht und gemeinsam mit ihm den Weg bestritten hätte, wäre dieser vielleicht bereits eingebrochen gewesen oder sie hätten einen anderen genommen. Wenn ich nicht so voreilig gehandelt hätte, würde das Pony noch leben… Ich mache einen Fehler nach dem anderen, nie kann ich was richtig machen… Cheyenne gab sich wieder einmal die Schuld an allem, was passiert war. Glaczio kam auf sie zu und sah, dass sie angefangen hatte zu weinen. Er versuchte sie zu trösten. „Hey, Engelchen, es war doch sowieso schon alt und krank… Ich hab zwar mein ganzes restliches Geld dafür ausgegeben, aber naja, was soll’s. Aber ich muss zugeben, ich mochte das Kleine irgendwie. Schon schade, dass es das Zeitliche gesegnet hat. Aber niemand konnte wissen, dass der Boden dort oben einfach so einbricht. Diese Wege hier sollten eigentlich geprüft und sicher sein…“ Er versuchte zu überspielen, dass er doch ein wenig traurig über den Tod des Ponys war, welches ihm während der letzten zwei Wochen schon etwas an Herz gewachsen war.
Geplagt von Gewissensbissen, ließ Cheyenne den Heiler stehen, schwang sich in Falconhearts Sattel und versuchte, so gut es ging, zu sprechen. „Es… es… t-tut mir … so Leid!“ Dann wendete sie ihr Pferd und stürmte davon, hinein in einen Wald. Glaczio rief ihr noch nach. „Es war doch nicht deine Schuld! Cheyenne, bleib hier, warte!“ Doch das Mädchen achtete nicht auf seine Worte und verschwand mit ihren Gefährten zwischen den Bäumen. Nur einige ihrer Tränen ließ sie zurück.