Weihnachtsspecial 2022
Langsam wurde es draußen hell. Es war still, nur das Knistern eines Feuers und der eisige Wind, der draußen sein Unwesen trieb waren zu hören. Einzelne Schneeflocken tanzten vor sich hin und verirrten sich an die verschiedensten Orte zum Niederlassen. Die Welt war in ein helles Eisblau getaucht und ab und zu konnte man Regenbogen-Chromaschimmer im Schnee sehen. Ein neuer Tag wartet.
Das Mädchen atmete ruhig in ihrem Schlaf, wurde aber schon bald von der zunehmenden Helligkeit des Morgens geweckt und blinzelte schlaftrunken. Es öffnete die Augen ein Stück und rieb sich dann den Schlaf aus Ihnen. Gähnend setzte sie sich auf und versuchte wacher zu werden.
Im Zimmer war es kalt, so kalt, dass Cheyenne ihren eigenen Atem sehen konnte, aber das störte sie nicht, immerhin hatte sie einen Berg an Decken, um sie zu wärmen. Noch einmal gähnte sie und öffnete nun die Augen komplett. Sie lächelte, als sie sich erinnerte, welcher Tag heute war. Ihr Blick schweifte durchs Zimmer und aus dem Fenster, wo sie eine Weile beobachtete, wie der anbrechende Morgen die Schatten der Nacht vertrieb.
Heute war der Weihnachtstag. Ein Ereignis, auf das sie sich schon lange freute und es kaum erwarten konnte, bis es da war. Weihnachten bedeutete für sie einen ruhigen, gemütlichen Abend am Kamin mit ihren Großeltern und Xaver und seiner Mutter zu verbringen. Es gäbe Kekse und ein besonderes Abendbrot und ab und zu sogar Geschenke, wenn das Geld dafür reichte. Letztes Jahr hatte sie von Xavers Mutter ein Stofftier in Katzenform bekommen, welches sie seither jeden Tag zum Einschlafen kuschelte. Das Stofftier war selbstgemacht, nur die Materialien hatte die Mutter gekauft. Demnach steckte viel Liebe in dem kleinen Kätzchen und aus diesem Grund mochte Cheyenne es noch mehr.
Xavers Mutter war wie ihre eigene Mutter, die sie nie kennengelernt hatte, da sie kurz nach ihrer Geburt gestorben war. Sie vermisste ihre Mutter zwar nicht sonderlich, da es für sie fast wie eine fremde Person ist und sie es nicht anders kannte, aber manchmal merkte sie schon, dass ihr eine Mutter im Leben fehlte. Aber Xavers Mutter behandelte Cheyenne meistens wie ihr eigenes Kind. Sie war eine liebevolle Frau, hatte immer ein offenes Ohr, war für Späße zu haben und brachte den Kindern viel Verständnis entgegen, auch wenn es eine unangenehme Situation ist und andere Eltern schimpfen würden. Xavers Mutter war sehr ruhig und herzlich und liebte ihr Kind wirklich über alles.
Noch einmal gähnte Cheyenne. Ihr warmer Atem ließ das Fenster anlaufen und sie malte ein Herz mit Strahlen und einen Tannenbaum auf die angelaufene Scheibe. Sie schloss die Augen und grinste. Heute würde sie den ganzen Tag mit Xaver spielen und müsste ihrem Großvater nicht bei der Arbeit helfen. Auch Abends war er dann schon zuhause und würde mit ihr zu Abend essen, was eher selten war. Ihr Großvater arbeitete wirklich sehr viel, um Essen auf den Tisch zu bringen. Sie rechnete ihm das zwar hoch an, aber sie vermisste ihn schon des Öfteren, gerade wenn sie zu Bett ging und er noch immer nicht zuhause war. Heute würde er den ganzen Abend Zeit für sie haben! Endlich ist es heute! Ich hab mich schon so lange drauf gefreut, ich werd diesen Tag richtig genießen, immerhin ist er nur einmal im Jahr. Ich freu mich schon so auf das Spielen mit Xaver! Der wird sicher wieder frieren, haha.
„Cheyenne, es ist Zeit für Frühstück! Kommst du runter, Kleines?“ Oh! Cheyenne wurde aus ihren Gedanken gerissen und sprang vom Bett auf. Sie war nun hellwach und vernahm einen lieblichen Duft von frischen Brötchen und Kakao, der durch ihr Zimmer strömte. Mh, riecht so als hätte Großmutter frische Brötchen gebacken und heißen Kakao zubereitet! Lecker! Das Mädchen zog sich in Windeseile um und hatte nun von einem Pyjama mit rosa Blumen zu einer warmen schwarzen Hose und einem mintgrünen langärmeligen Pullover mit einem Wolf-Motiv gewechselt. Sie wollte schon aus dem Zimmer laufen, da erinnerte sie sich, dass sie ihre Socken vergessen hatte. Ah, ups… Welche Sockenfarbe… Lila! Zufrieden mit ihrer Wahl zog sie sich die lila Socken mit orangenen Blütenblättern an und verließ nun wirklich ihr Zimmer.
„Guten Morgen, Großmutter! Es riecht so lecker, hast du gebacken?“ Cheyenne lehnte am Geländer des ersten Stocks und winkte ihrer Großmutter zu. „Ah, guten Morgen, Kleines, ja, ganz frische Brötchen, so wie du sie am liebsten magst. Und Kakao hab ich dir auch gemacht. Komm runter, wir wollen essen, Liebes.“ Cheyennes Großmutter lächelte. Sie war eine herzensgute Frau und gab immer ihr Bestes für Cheyenne. Sie versuchte ihr wirklich jeden Wunsch von den Lippen abzulesen, so gut es ging. Viel Geld hatten sie nicht, aber sie tat ihr Bestmöglichstes, um Cheyenne glücklich zu machen. Für das Mädchen zählte Geld nicht. Sie war schon glücklich, wenn sie einfach Zeit mit ihrer Großmutter verbringen könnte und sie gemeinsam bastelten, oder ein Brettspiel spielten.
Cheyenne tapste die Treppe hinab und lief in die warme Küche zum Esstisch. Ihr Großvater saß bereits am Tisch und lächelte sie an. „Na, ist schön warm hier, nicht, meine Große?“ „Ja, ein tolles Feuerchen hast du gemacht, Großvater!“ Das Mädchen ging zu ihm und umarmte ihn. Sie war nun schon zwölf Jahre alt und seit ihrem Geburtstag nannte ihr Großvater sie nun ‚Große‘ und nicht mehr ‚Kleine‘. Ihre Großmutter hatte gesagt sie würde für immer ihre ‚Kleine‘ bleiben, egal wie alt sie wäre. Dabei bin ich doch fast schon erwachsen! Meh…
Sie setzte sich an den Tisch und ihre Großmutter kam dazu, frische, warm dampfende Brötchen in der einen, und heißen Kakao in der anderen Hand. Ein bisschen Wurst, Käse und Marmelade war bereits aufgedeckt, Teller und Besteck ebenfalls. Sowie die Brötchen auf dem Tisch landeten streckte Cheyenne ihre Hand aus, um sich eins zu nehmen und roch daran. „Hmmm!“ Sie freute sich über die kleinsten Dinge, wie zum Beispiel dieses Stück Brot und legte es auf ihr Teller. „Sei vorsichtig, die können noch heiß sein, brenn dich nicht, Liebes.“ Ihre Großmutter kam an ihre Seite und schnitt ihr das Brötchen auf. „Großmutter, du machst wirklich die besten Brötchen in der ganzen Unterstadt!“ „Haha, danke, Kleines. Das freut mich sehr.“
Gerade als Cheyenne ihr Brötchen belegen wollte klopfte es an der Haustür. Huh? Oh, vielleicht ist es Xaver! Mit einem kurzen um Erlaubnis fragenden Blick zu ihrer Großmutter sprang das Mädchen auf und lief zur Haustüre. Sie öffnete und eine eisige Brise mit Schneeflocken fiel ins Haus. Aber das war nicht alles – ihr bester Freund Xaver huschte ebenfalls zitternd durch die Tür und schloss diese direkt danach. „Brrrr… So kalt da draußen…“ Er lehnte mit dem Rücken an der geschlossenen Tür und blickte in den Raum. „G-Guten Morgen, brrr… Tut mir leid, d-dass ich einfach so reinstürme, a-aber ich erfriere.“ „Hahaha, alles gut!“ Cheyenne lachte ihn aus. Ihre Großmutter holte eine Decke von dem Sofa und ging zu Xaver, um sie ihm überzuwerfen. „Hier bitteschön Xaver, Komm rein und wärm dich auf!“ Der Junge wollte schon ablehnen, da er ungerne die Gastfreundschaft anderer nutzt, aber Cheyennes Großmutter kannte ihn bereits gut genug und ignorierte seine ablehnende Geste.
„Uhm, hey Xaver, hast du schon gefrühstückt?“ Mit einem fragenden Blick nahm sie seine kalte Hand. „Ich wette du hast noch nicht!“ Der Junge schaute sie an und errötete leicht, dann wandte er seinen Blick ab. „Ehm, ja, hab ich, ist aber auch egal.“ „Ach Xaver, du sollst doch nicht lügen, Liebes.“ Mit einem geschauspielert strengen Blick und einem Finger in der Luft tat Cheyennes Großmutter so als würde sie ihn schimpfen. „Hah, also hast du noch nicht, dann iss doch mit uns, komm schon.“ Sie zog an seiner Hand. „Das ist doch in Ordnung, oder Großmutter?“ Ohne wirklich auf eine Antwort zu warten, zog sie Xaver zur Küche und vor einen Stuhl. „Aber natürlich, ich habe mir sowas schon gedacht und habe genug Brötchen für alle gemacht.“ Obwohl Cheyennes Großeltern kaum Geld hatten stand es für sie nie zur Diskussion Xaver und seine Mutter zum Essen einzuladen. Seine kleine Familie hatte es selbst sehr schwer und musste oft hungern.
„Guten Morgen, Bursche.“ Cheyennes Großvater zwinkerte Xaver zu. „Guten Morgen, und danke… Für die warme Decke und das Essen. Ich hoffe, wir können euch auch einmal helfen oder einladen…“ Xaver schaute zu Boden. Es war ihm jedes Mal sichtlich unangenehm, die Hilfe von anderen anzunehmen. Cheyennes Großmutter brachte ihm einen heißen Kakao und legte ihre Hand auf seine Schulter. „Ach, Liebes, du bist hier immer willkommen, du gehörst doch sowieso schon zu unserer Familie, du musst dich nicht revanchieren, hörst du? Du bist ja schon fast unser eigenes Enkelkind, also ist doch alles gut. Das braucht dir nicht so unangenehm zu sein und jetzt komm und ess etwas. Du musst doch groß und stark werden, um unsere kleine Cheyenne beschützen zu können, nicht wahr?“ „Großmutter!“ Cheyenne und Xaver wurde rot im Gesicht und vermieden einen Austausch ihrer Blicke. Die Großeltern lachten und dann wurde in Ruhe und Frieden gefrühstückt.
Nachdem sie ihren Hunger gestillt hatten und aufgewärmt waren wurde es Zeit für das worauf Cheyenne sich schon seit einigen Tagen gefreut hatte. Ein ganzer Tag an dem sie mit Xaver spielen konnte! Ohne ihren Großeltern helfen zu müssen oder in Büchern lernen zu müssen. Sie half zwar gerne und lernte auch gerne, aber ein ganzer Tag Freizeit freut sie natürlich noch mehr. In der Unterstadt gab es keine Schule und so musste sie sich Lesen und Schreiben selbst beibringen. Sie erhielt viel Hilfe von ihrer Großmutter, die darauf bestand, dass sie lernte, aber meistens machte sie es dann doch alleine oder mit Xaver, um ihrer Großmutter nicht noch mehr zur Last zu fallen.
Die zwei Kinder standen also auf und bedankten sich für das Essen. „Cheyenne, willst du wirklich draußen spielen? Es ist irre kalt…“ Xaver kuschelte sich noch mehr in die Decke und setzte einen Hundeblick auf. „Huh? Natürlich spielen wir draußen, das haben wir doch so ausgemacht, komm schon, das wird bestimmt Spaß machen! So kalt ist es auch wieder nicht, na los!“ Cheyenne lief zur Tür und zog sich Stiefel und Mantel an. „Komm schon, Xaver, los los!“ Sie grinste und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Der Junge seufzte und ergab sich seiner Freundin. Er konnte ihr keinen Wunsch abschlagen. „Ja, ja, ich bin schon unterwegs.“ Mit einem wehleidigen Blick legte er die warme Decke zurück auf das Sofa und ging ebenfalls zur Tür, wo Cheyenne schon bereit zum Aufbruch stand. „Fertig?“ Sie lächelte ihn an und er konnte nicht anders als zurückzulächeln. „Ja, ja, ich bin ja da.“ Das Mädchen öffnete schwungvoll die Tür und lief hinaus. Xaver ging ihr hinterher. „Cheyenne, warte, du hast deinen Schal vergessen!“ Die Großmutter des Mädchens hastete zur Tür mit einem roten Schal und rief sie zurück. Oh, stimmt, da war ja was. Ups, hehe. Cheyenne lief zur Haustür zurück und holte sich ihren Schal ab, den ihre Großmutter ihr sanft um den Hals wickelte. „So, jetzt bist du bereit, Liebes. Aber geht nicht zu weit weg und kommt nicht zu spät heim, ja? Passt auf euch auf!“ Noch während die Großmutter sprach lief Cheyenne schon wieder voran , Xaver rannte ihr langsam hinterher. „Ja, Großmutter!“ Das Mädchen drehte sich beim Laufen um und winkte der älteren Dame.
Es lag sehr viel Schnee, nur der Hauptpfad war geräumt, sodass man darauf gehen konnte, ohne einzusinken. Die beiden Kinder liefen hinab zum Fluss und begegneten auf dem Weg der alten Rosi und ihrem Mann, die gerade einen Spaziergang machten. Cheyenne winkte ihnen beim Vorbeilaufen zu und lachte, Xaver grüßte und lief dann weiter Cheyenne hinterher. „Cheyenne, warum so schnell?“ Er kam kaum hinterher. Sie drehte sich beim Laufen um und hopste nach rückwärts weiter „Weil es Spaß ma-!“ „Cheyenne, pass auf!“ Doch für Aufpassen war es zu spät. Cheyenne kaum vom Weg ab und hüpfte direkt in den hohen Schnee. Sie sank ein und fiel auf den Rücken. „Cheyenne, alles in Ordnung?“ Xaver näherte sich ihr mit einem besorgten Gesichtsausdruck. „Ahahahaha!“ Das Mädchen lachte und freute sich über ihren Fall. „Nochmal, haha, das war lustig!“ Der Junge musste schmunzeln und schlug sich die Hand vor den Kopf. „Du… Was machst du nur für Sachen… Ist dir jetzt nicht kalt?“ „Nö, es geht. Oh, ich hab ne Idee!“ Cheyenne fing an ihre Arme und Beine zu bewegen und machte so einen Schneeengel. „Komm schon Xaver, mach auch einen!“ Xaver jedoch schloss die Augen und lehnte das Angebot getrost ab. „Nein. Eindeutige Antwort. Nein. Mir ist ohnehin schon kalt, da leg ich mich doch nicht in den Schnee. Du Nuss.“ Cheyenne lachte und stand langsam auf. Sie bahnte sich ihren Weg zurück auf den Hauptpfad wo ihr Freund stand und betrachtete ihr Kunstwerk. „Ist er nicht schön?“ „Ja, total. Fast so schön wie d-“ Xaver stockte der Atem und er hielt sich die Hand vor den Mund. Seine Freundin schaute ihn fragend an. „Wie was?“ „Wie… die… die Engelsfigur, die meine Mam hat, die du ihr geschenkt hast!“ „Ah, ja die, danke!“ Xaver atmete erleichtert aus und kratze sich am Kopf. „Ja… hehe.“
Die beiden liefen weiter zum Fluss, welcher zugefroren war. „Hey, komm, wir können auf dem Fluss eislaufen!“ Cheyenne freute sich über ihre Idee und rannte den kleinen, aber steilen Hang hinab zum Flussbett. „Cheyenne, warte, du wirst einbrechen! Sei doch einmal vernünftig, das ist gefährlich, Stop!“ Xaver versuchte sie aufzuhalten, schaffte es aber nicht und hastete ihr hinterher. „Ach, Quatsch, es ist doch bestimmt kalt genug, der Fluss ist sicher total zugefroren, sei kein Angsthase!“ „Meine Güte, das hat nichts mit Angst zu tun, du wirst einsinken, bleib stehen! Ah!“ Xaver rutsche aus und landete auf seinem Po. Langsam glitt er auf den zugefrorenen Fluss und saß dann starr auf dem Eis. „Oh… Verdammt…“ Cheyenne hielt kurz inne, dann lachte sie und stieg weiter hinab, bis sie neben dem stocksteifen Xaver stand. „Siehst du. Kein Grund zur Panik, es ist dick genug. Jetzt steh auf und sei kein Angsthase.“ Mit einem verhöhnenden Blick streckte sie ihm die Hand aus. Sie musste sich zwingen nicht zu grinsen. „Ach, du mich auch…“ Xaver seufzte und nahm ihre Hand. Sowie er versuchte aufzustehen fetzte es ihn direkt wieder hin. Auch Cheyenne rutschte dank ihm aus und landete auf ihrem Po. „Autsch… Hahah!“ Das Mädchen hatte sichtlich Spaß. Der Junge rieb sich ebenfalls den Po und seufzte noch einmal. Er gab auf und lachte nun ebenfalls.
Irgendwie schafften es die beiden wieder auf die Beine zu kommen und für eine Weile liefen sie auf dem Eis. Sie machten Wettrennen, spielten Fangen und fielen unzählige Male hin. Nichtsdestotrotz hatten sie viel Spaß auf dem Fluss. Es musste mittlerweile schon früher Nachmittag sein, als Cheyenne plötzlich die Idee hatte einen Schneemann zu bauen. Die beiden verließen das Eis und entfernten sich weiter von der Stadt. Sie gingen die Hauptstraße entlang und fanden eine schöne Stelle zum Schneemann bauen. Hier liegt so viel Schnee, das reicht für 10 Schneemänner. Die zwei Freunde finden an Kugeln zu rollen und bewarfen sich dabei gegenseitig mit Schneebällen. Sie unterbrachen das Schneemann bauen für eine kleine Schneeballschlacht. Cheyenne fing an und erwischte Xaver fest am Rücken. „D-au! Hey, das kriegst du zurück!“ Xaver baute sich eine kleine Wand und rollte einige Kugeln. „Oh, du willst Krieg? Okay, du kriegst Krieg, haha!“ Cheyenne freute sich, dass sie ihren Freund einmal nicht zu etwas überreden musste, sondern er direkt dabei war. Sie baute ebenfalls eine kleine Wand aus Schnee und formte Bälle. Und so schossen Schneebälle durch die Luft, mal trafen sie, mal nicht, mal mitten ins Gesicht, mal auf den Arm oder auf die Brust. Die beiden hatten sehr viel Spaß dabei.
Nach einer Weile waren die zwei Freunde außer Puste und beschlossen ihren eigentlichen Plan – einen Schneemann zu bauen – weiter zu verfolgen. Genug Bälle zum Rollen lagen ja nun herum. Xaver, der etwas größer war als Cheyenne hob den mittleren Teil auf den untersten und sie befestigte dann den Kopf auf der eisblauen Skulptur aus Schnee. „Hm, wir haben keine Karotte für die Nase… Und was nehmen wir als Augen und Knöpfe?“ Der Junge betrachtete nachdenklich den Schneemann. „Ja… Na, egal, wir nehmen einfach Steine, komm!“ Cheyenne lief zurück zur Hauptstraße und grub nach Steinen. Xaver tat es ihr gleich und bald hatten sie genug für den Schneemann gesammelt. Die Kinder gingen zurück zu dem Bauplatz und schmückten ihr Kunstwerk mit den Steinchen. Der Schneemann konnte nun lächeln, etwas sehen und hatte sogar Köpfe für eine Jacke bekommen. Mit einem High Five beendeten die zwei Freunde ihre Arbeit und Cheyenne lief weiter durch den Schnee. Xaver hinterher.
Im Schnee waren einige Tierspuren zu sehen und so beschlossen sie nun den Spuren zu folgen, um eventuell Tiere zu finden. Sie rätselten um welche Spuren es handelte, aber waren sich sicher, dass es die von einem Hirsch waren. Auch die von einem Hasen sahen sie und an einer eindeutigen Spur von einem Wolf blieben sie stehen. „Oh, das muss von einem Wolf sein, komm, wir gehen der Spur nach. Aber wir müssen vorsichtig sein… Nicht, dass wir entdeckt werden.“ Cheyenne war schon dabei weiterzugehen, als ihr Freund sie festhielt. „Hey, mir ist langsam wirklich kalt… Und es ist schon Nachmittag, ich denke wir sollten langsam heim… Und bei einem Wolf bin ich sowieso raus und den verfolgst du bitte auch nicht, okay?“ Das Mädchen schaute ihren besten Freund an. Langsam fiel der Schnee immer stärker und ein eisiger Wind zog auf. „Hm, na gut, dann lass uns heim.“ Sie willigste ein und die beiden stapften ihren Spuren nach, die sie beim Gehen gemacht hatten.
Plötzlich erklang ein leises Wimmern. Cheyenne blieb stehen und schaute sich um. „Was hast du?“ Xaver kam ebenfalls zum Stand. „Hast du das nicht gehört?“ Mit einem fragenden Blick starrte ihn das Mädchen an. Sie wusste zwar mittlerweile, dass sie besser hören konnte als ihr bester Freund, aber dass er dieses Geräusch eben nicht gehört hatte irritierte sie. „Nein, ich hab nichts gehört. Bist du sicher, dass du es dir nicht eingebildet hast?“ „Ja, ganz sicher…“ Sie schaute zu Boden und schloss die Augen. Cheyenne versuchte noch einmal genau hinzuhören, aber jetzt konnte sie nichts mehr wahrnehmen. Hm… Was das wohl war… Da war auf jeden Fall etwas… Vielleicht ein Tier? Sie blickte in die Richtung aus der das Geräusch gekommen war.
„Naja, egal, komm, ich will hier draußen nicht erfrieren…“ Xaver drängte sie zum weitergehen. Seine Freundin jedoch blieb stehen.Ich muss wissen, was das war, es klang fast so als würde es Hilfe benötigen…
„Hey Xaver, ein letztes Spiel, okay?“ „Ach, Cheyenne, wirklich, mir ist ka-“ „Bitte! Weil heute ein besonderer Tag ist! Bitte Bitte?“ Cheyenne legte den Kopf schief und schaute ihn mit einem Hundeblick an. Xaver seufzte und schloss kurz die Augen. „Na gut… Ich kann dir keinen Wunsch abschlagen. Also, was willst du noch spielen?“ „Verstecken!“ „War klar…“ „Du zählst bis fünfzig und ich verstecke mich in der Zwischenzeit, ja?“ Der Junge willigte ein. Er würde sie ohnehin schnell finden, da es auf der Ebene, auf der sie sich befanden, kaum einen Ort zum Verstecken gäbe außer ein paar Bäume. Er begann zu zählen und Cheyenne lief los.
Das Geräusch kam aus dieser Richtung… Das Mädchen stapfte durch den hohen Schnee und hatte ihre Ohren weiterhin gespitzt, für den Fall, dass sie das Fiepen noch einmal hören sollte. Plötzlich passierte auch genau dies. Da, da war es wieder, es klingt wie ein Winseln… Es kommt aus der Waldrichtung. Sie fing an zu laufen so gut es ging – nun da sie dem Geräusch so dicht auf den Fersen war, konnte sie sich nicht von Xaver finden lassen.
Der Wind nahm unterdessen zu und der Schnee fiel immer unbarmherziger vom Himmel. Cheyenne musste sehr oft blinzeln, da ihr ständig Flocken in die Augen flogen. Ihre Wimpern waren bereits voller Schnee und jetzt war der Zeitpunkt, an dem sogar sie die Kälte wahrnahm und sie begann leicht zu zittern. Einfach weiter in Bewegung bleiben, dann wird mir wieder warm!
Armer Xaver, der muss jetzt da stehen und frieren, aber ich kann das unmöglich ignorieren! Huh? Das sind doch die Pfotenspuren, die wir vorhin schon gesehen haben, die von dem Wolf… Dem sollte ich irgendwie aber lieber nicht über den Weg laufen…
Sie blieb kurz stehen und verfolgte die Spur mit ihren Augen. Argh… Die führt natürlich genau in den Wald, wo das Winseln herkommt… Oh, Moment, Vielleicht hat sich ein Wolf verletzt und braucht Hilfe? Ich könnte ihm helfen und dann würden wir Freunde werden und ich hätte als einzige in der Unterstadt einen Wolf! A-Aber das würde sicher meinen Großeltern nicht gefallen und die Leute hätten bestimmt Angst, also ehm ja… Schade… Aber egal, wenn er verletzt ist… sollte ich ihm helfen… Ich mag es nicht wenn Tiere leiden, auch wenn es gefährlich ist… Das erzähl ich besser nicht Xaver… Mit einem starren Blick auf die Spur malte sie sich aus, wie lange wohl die Moralpredigt ihres besten Freunds dauern würde und schüttelte den Kopf. Meine Güte… Ich kann schon auf mich aufpassen, Xaver… Ich weiß ganz genau, was ich tue. Sie nickte fest entschlossen dieser Spur nachzugehen und setzte sich wieder in Bewegung.
Xaver wurde währenddessen fertig mit dem Zählen und er drehte sich um. Von Cheyenne war weit und breit nichts zu sehen. Nur ihre Spuren im Schnee. „Denkst du überhaupt mal nach…?“ Der Junge schüttelte den Kopf und seufzte. Er hätte seine Freundin in Windeseile gefunden. Zitternd fing er an der Spur nachzugehen und rieb sich die Arme vor lauter Kälte. Der Wind nahm immer mehr zu und es wurde dunkler. Auch Schnee fiel immer mehr und begann ganz langsam die Spuren von Cheyenne zu löschen. „Das… ist jetzt nicht gut.“ Xaver blieb stehen und beobachtete wie schnell der Schnee zu Boden schoss. „Es wird immer mehr… Wenn das so weiter geht, dann verlier ich ihre Spur bevor ich sie finde…“ Eine eisige starke Brise zog über den Jungen her und wehte ihm Schnee ins Gesicht. Er musste sich umdrehen, um gegen den Wind zu stehen, der ihn beinahe umgeworfen hätte. „Ach, verdammt, da kommt bestimmt ein Schneesturm auf… Und wir sind hier draußen, na toll. Cheyenne, wie immer perfektes Timing… Und wenn ich raten dürfte dann würde ich sagen, das Verstecken spielen ist nur ein Vorwand dafür, dass du dieser Wolfsspur oder dem Geräusch, was du angeblich gehört hast nachgehen willst… Argh, warum hab ich bloß zugestimmt, wir sollten schon lange auf dem Heimweg sein… Mensch, Cheyenne, ich hoffe ich finde dich…“
Cheyenne lief immer näher an den Waldrand. Mittlerweile war sie schon sehr weit von ihrem Zuhause entfernt und sie bemerkte ebenfalls, dass es dunkler und eisiger wurde. Ein Schneesturm zog auf. Und es war bestimmt kein leichter. Von den Pfotenspuren im Schnee sah sie nichts mehr und auch ihre eigenen Spuren würde sie nicht mehr zurückverfolgen können. Sie müsste sich auf ihren Orientierungssinn verlassen, um wieder nach Hause zu kommen. Hätte ich das gewusst, hätte ich Xaver gesagt, er soll lieber heim gehen… Der wird mich nie finden… Ich hoffe, er geht dann einfach heim und erfriert nicht hier draußen… Sie blieb stehen. Der Wind war nun so heftig, dass er sie aus dem Gleichgewicht brachte und der Schnee war so tief, dass er bereits über ihre Knie reichte und es wurde immer mehr. Sie beschloss sich Schutz vor dem Sturm unter den Bäumen im Wald zu suchen. Das Geräusch hatte sie nun schon länger nicht mehr gehört.
Xaver konnte kaum noch die eigene Hand vor Augen sehen, so viel Schnee fiel mittlerweile vom Himmel. Er musste stetig gegen den Wind ankämpfen, um vorwärts zu kommen. „Ich hab… keine Ahnung mehr wo ich gerade bin…“ Er hatte sich verlaufen und von seiner Freundin fehlte jede Spur. „Ich hätte niemals gedacht, dass ich ihre Spur im Schnee verlieren könnte, aber tadaa… Ich hab das Unmögliche geschafft… Super…“ Er zitterte am ganzen Leib und war sich unschlüssig, was er tun sollte. Er wusste, dass es bald dunkel sein würde und dann wäre er hier draußen verloren. Er würde die Nacht in der Kälte nicht überleben, wenn er nicht vor dem Erfrieren schon von wilden Tieren gefressen wurde. „Cheyenne…“ Auf der anderen Seite machte er sich Sorgen um seine Freundin. „Cheyenne! Wo bist du?! Komm schon, das wird langsam gefährlich, wir müssen heim. Es wird dunkel! Cheyenne, komm raus!“ Seine Rufe verloren sich im Wind und es kam keine Antwort. Unterdessen wurde es immer dunkler, nicht nur wegen der zunehmend aufgekommenen Wolken, sondern auch wegen der anbrechenden Nacht. Sie hatten wirklich den ganzen Tag draußen gespielt und bald wäre Xaver blind wie ein Maulwurf in der Finsternis. „Verdammt, was mach ich jetzt?“ Er blieb zitternd stehen und versuchte sein Gleichgewicht gegen den starken Wind zu finden. „Ngh…“ Er wollte seine Freundin nicht alleine hier draußen lassen, aber er fand sie nicht und es würde schon bald stockdunkel sein, er hatte sich selbst verlaufen und merkte, wie er durch die Kälte müde wurde und ihm das Gehen schwer fiel. Schweren Herzens entschied er sich die Suche nach seiner Freundin abzubrechen und einen Weg nach Hause zu suchen. „Du hast dich sicher auch verlaufen… Ich hol Hilfe und Chromalaternen. Keine Sorge, Cheyenne, ich werde dich finden. Bitte halte durch…“
Cheyenne stand unter einem Baum, ihre Hand berührte die eisige Rinde. Gut, dass sie Handschuhe hatte, sonst würde sie mittlerweile bestimmt schon eingefrorene Fingerchen haben. Und jetzt? Soll ich jetzt wirklich warten, bis der Sturm nachlässt? Das kann die ganze Nacht dauern… Meine Großeltern und Xaver werden umkommen vor Sorge… Ich hoffe wirklich, dass Xaver heim gegangen ist… Wenn ihm wegen mir was passiert verzeih ich mir das nie… Das Mädchen fing an sich Vorwürfe über ihre unüberlegte Handlung zu machen. Sie hatte ihren besten Freund in Gefahr gebracht und würde ihren Großeltern Kummer bereiten. Und das alles für nichts, da sie die Quelle des Geräusches nicht ausmachen konnte.. Alles umsonst...
Xaver stapfte schwer atmend durch den Schnee. Die eisige Luft brannte in seinen Lungen, aber er musste weiter, konnte nicht einfach stehen bleiben. Die Zeit rannte mit ihm um die Wette. Plötzlich stolperte er und fiel hin. „Argh, verdammt…“ Er raffte sich auf und wunderte sich. Er war auf eine Fläche gefallen, wo der Schnee nicht so hoch war. Der Unterschied musste ihn zum Fallen gebracht haben. „Die Hauptstraße!“
Ich bin echt weit weg von zuhause… Aber hier bleiben macht auch keinen Sinn, der Sturm wird nicht in der nächsten halben Stunde vorbei sein… Ich sollte versuchen heim zu kommen. Cheyenne drehte sich um. Sie war nun im Wald, das hieß sie müsse wieder zurück, wo sie herkam, Richtung der ebenen Felder. Also los. Doch genau als sie losgehen wollte, erklang wieder das winselnde Geräusch. Dieses Mal war es kaum hörbar und hörte sich sehr schwach an. Huh!!! Das Mädchen blieb stehen und blickte ruckartig in die Richtung, aus der sie das Geräusch wahrgenommen hatte. Ohne zu überlegen, setzte sie sich in Bewegung und lief los.
Nach ein paar Metern blieb sie wieder stehen und lauschte. Nichts. Grr… Verdammt, aber es war ganz nah, es muss hier irgendwo sein, aber ich sehe nichts… „Hey, wo bist du?“ Sie stiefelte weiter und hoffte, dass das Etwas auf ihre Stimme reagieren würde. Ein kraftloses Winseln ertönte. Cheyenne drehte sich um und stellte fest, dass das Geräusch von dem Baum hinter ihr kam. Es war ein großer Baum, der viele gewaltige Wurzeln schlug, die man sogar unter dem Schnee sehen konnte. Plötzlich vernahm sie ein weiteres Geräusch – es klang so, als würde jemand im Schnee graben, aber nur ganz leicht. Huh? Woher kommt das, ich sehe nichts… Aber es muss hier irgendwo sein! Sie untersuchte den Baum und fand ein kleines Loch bei einer seiner großen Wurzeln. Sie blickte hinein und wurde direkt mit einem Winseln bestätigt.
Xaver lief so schnell er konnte, um es noch rechtzeitig in die Unterstadt zu schaffen, bevor es stockdunkel wäre. Er erreichte den Fluss und bekam fast keine Luft mehr. „Argh, es brennt so…“ Seine Lungen schmerzten, aber er konnte jetzt nicht stehen bleiben, er hätte es gleich geschafft. Zumindest war ihm jetzt etwas wärmer, aber er spürte dennoch nach wie vor die Kälte. Er lief über die Brücke des Flusses und kam in der Unterstadt an. Chromastraßenlaternen leuchteten ihm nun den Weg. Er hatte es geschafft! Ohne langsamer zu werden ranntze er den Weg hoch zu Cheyennes Haus. Die Großmutter des Mädchen stand am Fenster und sah ihn, worauf sie ihm direkt die Tür öffnete. „Xaver, Junge, wir haben uns schon solche Sorgen gemacht, endlich seid ihr wieder daheim!“ Xavers Mutter war ebenfalls im Haus von Cheyenne und kam zu ihm mit einer Decke. „Dir muss ja unendlich kalt sein, komm her, ich decke dich schnell ein. Wärm dich auf. Ich bin froh, dass euch nichts passiert ist.“ „Mama, Cheyenne… Sie… ist noch draußen… Wir… müssen sie suchen!“ Xaver war total außer Atem, lehnte die Decke ab und schnappte sie eine Chromalaterne von der Garderobe. Cheyennes Großvater kam nun auch dazu. „Wie Cheyenne ist noch draußen? Xaver, was ist passiert?“ Sowie der Junge wieder etwas zu Atem kam erzählte er die ganze Geschichte und drängte die Erwachsenen sie suchen zu gehen. Er zitterte nun vor Aufregung und auch von der Kälte, er hatte Tränen in den Augen und machte sich unendlich Sorgen um Cheyenne. „Ich wollte sie nicht alleine lassen, aber ich wusste nicht, was ich tun sollte außer Hilfe zu holen… Ich seh doch nachts nichts… Es tut mir so leid, bitte, wir müssen sie finden!“ Die Großeltern verstanden, dass Xaver keine Schuld trug und dass er sich wirklich Sorgen machte. „Abel, bitte hol doch noch mehr Laternen aus der Scheune, wir müssen die Kleine finden.“ Ohne zu zögern machte sich Cheyennes Großvater auf den Weg in die Scheune. „Xaver.“ Die Mutter des Jungen legte ihm die Decke über. „Du bleibst hier und wärmst dich auf, wir werden Cheyenne schon finden. Du hast uns ja erzählt, wo ihr spielen wart.“ Sie küsste Xaver auf die Stirn und begleitete ihn zum Sofa vor dem warmen Kamin. „Aber, aber ich…“ „Xaver, keine Wiederrede, du bleibst hier und wärmst dich auf. Sonst wirst du mir noch krank!“ Liebevoll aber streng setzte die Mutter den Jungen hin und holte ihm noch eine zweite Decke. „Hab Vertrauen in deine Mutter, wir finden sie. Versprochen.“ Noch nie hatte sie ihrem Sohn etwas versprochen, was sie nicht halten konnte und so wurde Xaver ruhiger. Er wischte sich die Tränen von den Wangen und kuschelte sich in die Decken. Er betrachtete den kleinen geschmückten Weihnachtsbaum und hoffte, dass dieser Abend noch gut ausgehen würde. Die Erwachsenen machten sich auf den Weg.
Im Wald war es mittlerweile ziemlich dunkel. Für Cheyenne glücklicherweise kein Problem, da sie auch nachts gut sehen konnte. Niemand wusste, wie das möglich war. Sie stand vor dem Loch aus dem das winselnde Geräusch kam und schaute hinein. Oh nein! Vor sich sah sie eingegraben im Schnee zwei kleine Pfötchen und eine wolfsähnliche Schnauze. Das kleine Wesen konnte wohl gerade noch so atmen, würde aber bald im Schnee ersticken, wenn sie ihm nicht half. „Halte durch, Kleiner…“ Das Mädchen zögerte nicht und grub den kraftlosen, zitternden Welpen aus. „So, jetzt kannst du dich wieder bewegen und richtig atmen…“ Doch der kleine lag nur zitternd auf dem Boden, hatte nicht einmal die Kraft seinen Kopf zu heben. Er musste wohl schon sehr lange gegen den Schnee gekämpft haben und von der Mutter war weit und breit nicht zu sehen. Naja… Es wäre zwar gut für das Kleine, aber schlecht für mich, wenn die Mutter hier wäre… Sie betrachtete das kleine Bündel. Es war ein abgemagerter, zierlicher, wirklich kleiner Wolfswelpe mit einem silbernen, nassen und gefrorenen Fell. Aber es hatte etwas besonderes an sich, was Cheyenne bisher nur in Büchern gesehen hatte. Sind das… Fühler? Der kleine Welpe hatte türkise, fühlerähnliche Erweiterungen an seinem Kopf. Sie verfolgte die seltsamen Körperteile und fand die Ursache für die Not des Kleinen. Oh nein, du hattest dich verheddert mit deinen Fühlern… Der Wolfswelpe hatte es irgendwie geschafft eine Art Knoten mit seinen Fühlern um eine der Baumwurzeln zu machen und konnte sich nicht befreien. Der Knoten war ziemlich fest, der Kleine musste wohl sehr lange und mit Kraft versucht haben, sich zu befreien und so den Knoten immer fester zugezogen haben. „Das muss doch weh tun… Das spürst du doch, oder?“ Es kam keine Reaktion. „Warte, ich helf dir…“ Sie gab ihr Bestes, um den Knoten so sachte wie möglich zu lösen, was gar nicht so einfach war. Nach einer Weile hatte sie es allerdings geschafft und der kleine Welpe war befreit. „Ha! Geschafft! Jetzt bist du wieder frei.“ Aber das kleine Bündel lag nur zitternd am Boden und bewegte sich nicht. Cheyenne machte sich Sorgen und wusste, dass der Kleine hier draußen die Nacht nicht überstehen würde. Wer weiß, wie lange er schon ums Überleben kämpfte. Der Welpe hatte eindeutig nicht die Kraft um aufzustehen, geschweige denn sich vor dem Schnee in Schutz zu bringen. Und ohne Mutter würde auch die Nahrungsbeschaffung nicht erfolgreich sein. Ohne lange zu überlegen kam sie zu einem Beschluss. „Na komm, ich nehm dich mit zu mir nach Hause… Da kannst du dich aufwärmen und wenn es dir wieder besser geht, kannst du wieder raus in die weite Welt, okay?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, nahm sie ihren Schal und wickelte das kraftlose Fellknäuel darin ein, um es zumindest ein bisschen zu wärmen. Es fühlte sich sehr nass und kalt an und wenn es nicht bald an einem warmen Ort wäre, würde es vermutlich sterben.
Inzwischen war es stockdunkel geworden. Cheyenne musste unbedingt den Kleinen an einen warmen Ort bringen, sie konnte nicht warten, bis der Schneesturm nachlässt. Also machte sie sich auf den Weg. Auf gut Glück lief sie aus dem Wald und hoffte, dass sie die richtige Richtung zur Hauptstadt einschlug. Der Wind peitschte ihr ins Gesicht und machte es schwer für sie sich fortzubewegen. Wenn der Wald hier ist, dann müsste die Hauptstadt eigentlich immer gerade aus sein… Diese Theorie verfolgte sie und ging stets gerade aus. Sie hatte das kleine Bündel fest umschlossen und in ihren Mantel gesteckt, damit es noch mehr Wärme hätte als nur den Schal. Du bist ein Feenwolf, hm? Ich hab sowas wie dich in Büchern gesehen… Ihr seid sehr sehr selten… Was machst du wohl hier? Waren diese anderen Spuren, die ich gesehen habe von deiner Mutter? Wenn ja, warum bist du nicht bei ihr? Was ist wohl passiert… What happened…
Eine ganze Weile stapfte Cheyenne durch den Schnee. Das Atmen fiel ihr schwer aufgrund der eisigen Luft, aber sie musste den kleinen Welpen nach hause bringen und durfte keine Zeit verlieren. Hoffentlich bin ich wirklich auf dem richtigen Weg… Sie richtete ihren Blick nach unten, um nicht den Schnee ins Gesicht zu bekommen. Weit sehen konnte sie durch den Sturm ohnehin nicht, sie musste nur gerade aus gehen. Einige Zeit später hörte sie etwas vertrautes. „Cheyenne!“ „Cheyenne, wo bist du, Liebes?!“ Großmutter, Großvater! Sie blickte auf und sah in der Ferne Chromaschein. Das würde heißen, dass sie in die richtige Richtung gelaufen wäre! „Hier bin ich!“ Sie rief mit all ihrer Kraft und hoffte, dass es reichte, damit sie sie hörten. Sie wusste, dass sie weitaus besser hören konnte, als ihre Großeltern und machte sich Sorgen, dass sie ihre Großeltern zwar hörte, aber umgekehrt nicht. Tatsächlich schienen sie sie nicht zu hören und so stapfte Cheyenne auf das Leuchten zu. „Cheyenne! Da bist du ja, wir haben uns solche Sorgen gemacht, was machst du denn für Sachen, Liebes!“ Cheyennes Großmutter kam auf sie zu und umarmte sie. „Was hast du denn da?“ „Großmutter, wir haben keine Zeit, wir müssen schnell heim, sonst stirbt der kleine Welpe bestimmt!“ Mit einem fragenden Blick schaute die alte Dame das Mädchen an, aber hakte nicht nach und so machten sie sich auf den Heimweg. Xavers Mutter war ebenfalls dabei. „Na, da hast du ja gleich ganz schön viel zu berichten, junge Dame. Xaver hat vor Sorge um dich geweint.“ „Er hat was? Haha!“ Cheyenne war belustigt, aber auch gerührt, dass ihr bester Freund sich so um sie sorgte. Gemeinsam stapften sie durch den Schnee und machten sich auf Richtung Unterstadt.
Xaver stand am Fenster, eingekuschelt in zwei Decken und wartete ungeduldig auf die Ankunft seiner besten Freundin und die der Erwachsenen. „Die brauchen so lange… Hoffentlich finden sie sie und hoffentlich ist ihr nichts passiert...“ Dann sah er wie der Chromaschein draußen heller wurde und war sich sicher, dass es von den Chromalaternen der Erwachsenen kommen musste! „Cheyenne!“ Xaver lief zur Tür und öffnete sie. Der eiskalte Wind blies ihm ins Gesicht und er schauderte, aber es war ihm egal. Er wollte seine Freundin in Sicherheit wissen. Tatsächlich kam eine Gruppe von Menschen auf ihn zu und er erkannte die Großeltern, seine Mutter und Cheyenne als sie näher kamen. Er lief auf das Mädchen zu und umarmte sie „Cheyenne, ich hab mir so Sorgen gemacht, mach das nie wieder, okay?“ „Ja, tut mir leid, ist okay, lass mich bitte kurz mal vorbei!“ Seine beste Freundin riss sich aus der Umarmung los und lief ins Haus. Xaver blieb verdutzt stehen und eilte ihr dann nach. Die Erwachsenen gingen ebenfalls ins Haus und verschlossen die Tür vor der Kälte.
Cheyenne kniete am Kamin und holte das kleine Bündel aus ihrem Mantel hervor. Sie legte es vor den Kamin und zog ihren Mantel aus, um den kleinen Welpen damit noch wärmer einzupacken. „Was ist das denn?“ Xaver kam verwirrt aber neugierig näher und betrachtete das Fellknäuel. „E-ein Wolf?“ „Was?“ Cheyennes Großvater kam näher und schon bald hatten sich alle um den Kamin versammelt und starrten das kleine Häufchen Elend an. Cheyenne begann zu erzählen wie sie den kleinen gefunden hatte und in welcher Notlage er war und dass sie ihn aufpäppeln wollte. „Ja und ich konnte es einfach nicht dort sterben lassen… Können wir es bitte so lange behalten, bis es wieder fit ist, um alleine zu überleben?“ Die Großeltern schauten sich an und willigten ein. „Naja, solange es noch so klein ist, wird es uns wohl kaum fressen. Also gut, Liebes, wir behalten es erst mal und päppeln es wieder auf!“ Cheyenne freute sich und streichelte das kleine Bündel. „Cheyenne…“ Sie zuckte zusammen bei der Stimme ihres Großvaters. „…Ja, Großvater?“ Cheyenne drehte sich langsam ihrem Großvater zu und Xaver musste sich zusammenreißen nicht laut loszulachen. „Ich finde es super, dass du einem Tier helfen möchtest, aber du hast Xaver hier in enorme Gefahr gebracht und dich selbst ebenso. Dachtest du wirklich, es kommt jetzt keine Moralpredigt?“ Das Mädchen seufzte und durfte sich nun unter dem Grinsen ihres besten Freundes von ihrem Großvater anhören, wie gefährlich ihre unüberlegte Handlung war und was alles hätte passieren können.
Während der Großvater mit ihr schimpfte bereitete ihre Großmutter das Abendbrot zu. Es gab etwas ganz Besonderes. Ein Stück Rindfleisch für jeden mit Kartoffeln und Soße. Einige dieser Sachen hatte die Großmutter extra vom Markt gekauft mit dem bisschen Geld, was sie noch übrig hatten. Xaver saß auf dem Sofa, angelehnt an seine Mutter und eingekuschelt in seine warmen Decken. Ab einem gewissen Punkt fingen alle an zu lachen und hatten Spaß. Sie waren alle einfach froh, dass das kleine Abenteuer gut ausgegangen war. Und Cheyenne nahm ihren Großvater zwar ernst, aber fand seine Moralpredigten nach einer Weile doch immer lustig und der alte Mann konnte einfach nicht zu streng mit ihr sein.
Weihnachten verbrachten die fünf immer zusammen und Xaver und seine Mutter waren dieses Mal eingeladen. Dafür würde es nächstes Jahr bei Xaver zuhause verbracht werden. Sie wechselten sich immer ab. Letztes Jahr waren sie sogar alle bei Rosi eingeladen. Dieses Jahr hatte die alte Dame und ihr Mann jedoch Besuch von ihren Kindern und wollten ein ruhiges Familienfest verbringen. Zur Weihnacht ehrt man die Familie, das Ende des Jahres und die kleinen Dinge, die für die Unterstädter jedoch viel bedeuteten. Man feiert sein tägliches Brot, welches man dieses Jahr haben durfte, die Ernte, die man hatte, die schönen Ereignisse, die man erleben durfte und dass man an der Seite seiner Lieben sein durfte. Als besonderen Brauch geht man durchs Haus und weiht alles mit Weihrauch ein, um es zu segnen und den Schutz der Götter zu erlangen. Daher nennt man es Weihnacht. Auch dieses Jahr gingen Cheyenne und ihre Großeltern diesem Brauch nach und bevor sie zu Abend aßen weihten sie das gesamte Haus und die Scheune ein, um sich den Segen der Götter zu holen. Ob es wirklich stimmte wusste niemand, aber der Glauben versetzt Berge sagte ihre Großmutter immer.
Nachdem sie zu Abend gegessen hatten sah das Mädchen nach dem kleinen Wolfswelpen. Sie hatte ihm ein Stück Fleisch übrig gelassen und stellte es ihm zusammen mit einer Schüssel Wasser vor die Nase. Der kleine schnupperte und öffnete die Augen, dann schnappte er sich ganz vorsichtig und langsam das Stück Fleisch und verschlang es hungrig. „Na siehst du, ich denke es geht dir schon etwas besser. Aber du wirkst echt ausgehungert… Ich will gar nicht wissen, wie lange du da festgesteckt hast…“ Cheyenne streichelte über das mittlerweile trockene Fell vom Kopf des Kleinen, der diesen wieder auf dem Boden abgelegt hatte und die Augen wieder schloss. Das Mädchen kuschelte sich zu Xaver auf das Sofa und er holte sie unter seine Decke. „Komm her…“ Cheyenne lächelte mit geschlossenen Augen und war glücklich. Ein Abend mit ihren Liebsten und ein Geschenk zu Weihnachten, welches man nicht bezahlen konnte. Auch wenn es dieses Jahr sonst keine Geschenke gab, so war sie absolut zufrieden. Immerhin durfte sie einen kleinen Wolfswelpen retten und einen ganzen Tag mit Xaver spielen, sie durfte viel Spaß haben und ein leckeres Abendessen gab es obendrein. Ihre Großmutter brachte den Kindern selbstgemachte Plätzchen und heißen Kakao.
Die Erwachsenen saßen am Tisch und spielten ein Brettspiel, während Cheyenne an Xaver gekuschelt auf dem Sofa saß. „Hm… Ich brauche noch einen Namen für den Kleinen…“ „Woher willst du überhaupt wissen, dass es männlich ist, hast du nachgeschaut, oder was?“ Xaver errötete leicht und wich ihrem Blick aus. „Haha, nein, aber ich habs im Gefühl, okay? Er wirkt einfach so männlich, so wie du halt.“ Das Mädchen grinste und fing an zu lachen, als sie sah, dass Xaver richtig rot im Gesicht war. „Haha, du bist rot wie eine Tomate!“ „Lass das, du Nuss…“ Der Junge zuckte mit den Augenbrauen und sah sie dann mit nur einem Auge an. „Also… Name?“ Seine Freundin überlegte kurz und betrachtete den Weihnachtsbaum. „Ah, ich habs! Ich nenne den Kleinen ‚Adocaz‘.“ „Huh? Adocaz? Wie kommst du jetzt darauf?“ „Weißt du noch das eine Buch mit der alten Ying-Yang Sprache, was wir gemeinsam durchgeschaut haben? Das Wort ‚Adorable‘ bedeutet doch ‚lieblich, süß‘ und das Wort ‚Caze‘ heißt ‚Wind‘. Also ‚Adocaz‘ – lieblicher Wind. Weil ich den Weihrauch so gerne mag und das ist doch auch ein lieblicher Wind und vor allem riecht das ganze Haus gerade danach, somit auch der Kleine, hihi.“ Xaver schüttelte den Kopf. „Du und deine Ideen… Jede andere Person würde ihr Haustier Luna, oder Ruby oder Teddy nennen und du kommst mir hier an mit deiner Yin-Yang Sprache und das sind wahrscheinlich die einzigen Wörter, die du dir gemerkt hast aus dem ganzen Buch, deswegen erfindest du jetzt irgendwas von wegen lieblicher Wind. Hab ich recht?“ „Psscht, es ist wirklich nicht erfunden! Ich mag es. Adocaz. Ich finde das ist ein schöner Name.“ Xaver legte seine Hand auf ihren Kopf. „Ja, ja, es ist ein schöner Name…“ Dann kuschelten sich die beiden wieder aneinander und schliefen nach einer Weile ein. Das Feuer knisterte vor sich hin, während der Sturm draußen tobte, aber die beiden Freunde waren glücklich, dass das Abenteuer gut ausgegangen war und sie sogar einer kleinen Seele helfen konnten. So verging der Weihnachtsabend und die Stille der Nacht brach herein während die Unterstadt sich schlafen legte.